Der Nordkanal

Einleitung

"aus: Tamm, Horst (Hrsg): Das Kanalhaus. Der Nordkanal im Raume Viersens und das Viersener Kanalhaus, Viersen (Eigenverlag), 2000."

Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers vom 12. Juli 2022

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Zwei große Bauruinen durchziehen die niederrheinische Landschaft und zeugen vom Willen fremder Großmächte mittels Technik politische Ziele durchzusetzen. In beiden Fällen sollten Kanäle den lukrativen Rheinhandel über die Maas hinweg nach Antwerpen leiten, das um 1600 zu Spanien, um 1800 zu Frankreich gehörte. Beide Male wollte man damit Holland treffen und beide Projekte wurden inmitten der Fertigstellung aufgegeben; es sind dies der von Spanien geplante Kanal „ Fossa Eugenia na", an dem man 1626 bis 1629 arbeitete und der von Frankreich gebaute „Grand Canal du Nord" oder Nordkanal, an dem man von 1808 bis 1810 arbeitete.

Beide Projekte fanden aber auch ihre Zustimmung bei den ehemaligen deutschen Landesherren und bei den betroffenen deutschen Städten, die sich von den Kanälen Steigerung ihres Anteils am Handel und Verkehr erhofften. Bei den desolaten Zuständen der Straßen war der Warenverkehr auf dem Wasser schneller, sicherer und billiger. Dubais hatte in Burgund die Ladekapazitäten von Land- und Wassertransport miteinander verglichen. Die maximale Last eines vierrädrigen Wagens betrug 1.200 kg und andererseits die eines Niederrheinschiffes 100 bis 200 to, so dass das Verhältnis der Lademengen mindestens bei 100:1 lag. Die Kostenverhältnisse wurden zu mindestens 4 : 1 abgeschätzt.

Schon der erste nachantike und jahrhundertelang genutzte Schiffahrtskanal Europas, der 1391 bis 1398 erbaute Stecknitzkanal trug trotz seiner bescheidenen Maße zur wirtschaftlichen Vorrangstellung des spätmittelalterlichen Lübecks bei. Es war auch keineswegs Unvermögen von Spaniern und Franzosen, das zur Aufgabe der niederrheinischen Kanalprojekte führte, konnten doch beide auf Kanalbauerfahrungen zurückgreifen. Die Spanier hatten bei den (Süd-)Niederländern entsprechende Wissensressourcen; Frankreich selbst verband seit mehreren hundert Jahren seine Flüsse mittels Kanälen miteinander. Die spektakulärste Verbindung war der Canal du Midi, der das Mittelmeer mit dem Atlantik verband. Er wurde 1667 bis 1681 von Paul Riquet erbaut und überwand Höhenunterschiede von 190 m.

Nur nebenbei sei vermerkt, dass auch in Deutschland, und hier besonders im flüssereichen (Alt-)Preußen, vor 1800 große Kanäle gebaut wurden, die auch heute noch existieren. Mit diesen Kanälen wurden Oder und Spree (1662/68). Havel und Oder (1744/46) und Netze und Weichsel (1773/74) verbunden.

Weniger erfolgreich war man im Westen Deutschlands. Es sei hier an die aufgegebenen hessischen Kanalbaupläne (Carls­ hafen!) erinnert. Aber auch Preußen führte seinen Rhein-Maas­ Kanal nicht zu Ende. Mit dem „ Groß-Friedrichs-Kanal" wollte Friedrich der Große das Fossa-Projekt wieder aufnehmen; nur noch der Nierskanal bei Geldern zeugt von den nicht zum Abschluss gekommenen Arbeiten. - Dagegen konnte Friedrich die Ruhr zwischen 1776 und 1780 durch zahlreiche Schleusen und sonstige Kunstbauten schiffbar machen lassen.

Wenn man in den Unterlagen, vor allem in dem von einem der Chefingenieure herausgegebenen Buch über den Nordkanal blättert, ist man von den damals vorliegenden detaillierten Kenntnissen überrascht. Man wusste Kanäle auch über tiefer liegendes Land zu führen, wusste über den Wasserbedarf des Kanals und jeder Schleusung Bescheid, konnte die Ergiebigkeit der speisenden Flüsse messen und berechnen, Schutzbauten gegen Hochwasser planen, den Kanallauf querende Wasserläufe unter dem Kanalbett hindurchführen, Verkehrsabschätzungen vornehmen und die Kosten sehr genau planen. - Den Eindruck kompetenten Wissens vermitteln auch andere ins Deutsche übersetzte französische Lehrbücher.

Zweierlei muß man jedoch bei diesen alten Kanälen und damit auch beim Nordkanal berücksichtigen. Mit Rudern und Segeln konnte man die Schiffe zwar auf Seen und dem Meer, auch auf den breiten Strömen wie dem Niederrhein fortbewegen, aber kaum auf den Kanälen. Die Schiffe mußten durch Treideln, durch Ziehen vom Ufer aus, auf der Schiffahrtsstraße bewegt werden. Die Boote wurden durch Pferde oder von Menschen gezogen. Damit war der Treidelpfad entlang dem Ufer oder auf der Dammkrone ein wesentlicher Bestandteil des Kanals. -

Das Andere betraf die Straßen- und Wegquerungen. Im 18. Jh. fing man gerade an, Straßen auszubauen und „ Kunststraßen" bzw. Chausseen anzulegen. Die meisten Straßen erreichten ohne Rampe und Damm das Wasser und mussten flach darüber geführt werden. Hochgelegte Brückenübergänge gab es üblicherweise nur in Städten. Bei der Schiffspassage musste die flach über die Wasseroberfläche führende Brücke bewegt werden. Es gab Klapp-, Dreh- und Hebebrücken, wie man sie auch heute noch in den Hafenstädten, aber auch z. B. im nahen Maastricht sehen kann.

Reste des Nordkanals und der Fossa Eugeniana, die noch Wasser führen, finden sich nur in Rheinnähe.
Bei Neuss ist noch der Nordkanal, bei Rheinberg und - unterhalb des Klosters Kamp - bei Kamp-Lintfort noch die Fossa wasserführend zu sehen. Im Scheitelbereich sind die Kanalbetten, soweit überhaupt noch sichtbar, allenfalls durch Niederschlagswasser feucht. Z.B. blühen auf dem Grunde des Kanalbetts im Krickenbecker Bereich im Frühjahr die Schwertlilien. Dieser Scheitelbereich wurde nie geflutet und sah auch nie ein Schiff. In Wald und Feld sind noch Kanalreste erkennbar; das dicht bebaute und intensiv genutzte Gebiet um Viersen, Süchteln und Grefrath tilgte jedoch das Kanalbild weitgehend.

Nur noch Straßennamen erinnern an die ehemalige Trasse: in Viersen „Kanalstraße" und „ Am alten Nordkanal" und in Süchteln die "Hafenstraße" . An zwei Stellen wurden die Dämme weiter genutzt und sind somit - natürlich verändert - noch erhalten. Der Bahndamm der Strecke Viersen - Mönchengladbach liegt im geradlinigen Teil der Strecke Schanzweg - Eichenstraße auf einem der Kanaldämme und die Grefrather Straße nördlich von Süchteln - Vorst nutzt im geradlinigen Abschnitt ebenfalls einen der alten Kanaldämme. Auch der Radfahrweg Viersen - Süchteln liegt auf der Kanaltrasse.

Der Nordkanal ist Geschichte, sichtbare Geschichte, Geschichte des jahrhundertelangen ambivalenten Verhältnisses von Deutschland und Frankreich.
Warum ambivalent? Wir tauschten Techniken, Erkenntnisse, Moden, Künste miteinander aus, profitierten von Refugies, Religionsvertriebenen und wandernden Künstlern und Handwerkern, von Ideen und administrativen Neuerungen, die die Besatzer jeweils zurück ließen und balgten uns andererseits um Vormachtstellung, Einfluss und Grenzen.
Gerade die Grenzländer haben unter diesen vielen Kriegen entsetzlich gelitten.
In der Hoffnung, dass die Zeit des Streites endgültig vorüber ist, gilt es den Blick für das Gemeinsame in der Geschichte offen zu halten.


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