Jodocus Schaaf:
Lobbericher St. Martin
aus: Rhein und Maas
(vom 11. Februar 1925 bzw. aus Sonderausgabe 2-1925;
in alter Rechtschreibung belassen)
Die Jahrtausendfeier (*) läßt unsere Blicke zurückschweifen durch die Geschichte der Rheinlande und der "engeren Heimat". Da tauchen vor unserer Seele auf alte Bauwerke, die uns erzählen von Vergangenem, typische Persönlichkeiten, die ihrer Zeit ein besonderes Gepräge gaben; nicht zuletzt aber entrollt sich vor uns das Bild alter Sitten und Volksgebräuche, und dazu zählt auch das St. Martinsfest hier an unserem Niederrhein.
Die Lobbericher Gemeinde hat mit besonderer Treue dieses Fest erhalten und seinen Verlauf in geordnete Bahnen gelenkt. In frühesten Zeiten "beschränkte es sich auf den Gänseschmaus" bei Gelegenheit der Pachtzahlung, die am 10. November zu erfolgen hatte. Nach außen hin verkündeten mächtige Feuer auf den Hinsbecker und Süchtelner Höhen sowie auf den weiten Feldern, zu denen die Jugend schon wochenlang vorher Reiser, Kartoffelstroh und anderes Brennmaterial zusammengetragen hatte, das St. Martinsfest. Und war die letzte Flamme verloschen, dann versammelte man sich im Familienkreise um den "duftenden Kuchen". Das Feueranzünden veranlaßte sodann die jungen Burschen und Mägdelein, sich aus Kürbissen und großen Runkelrüben Lichter anzufertigen, die dann unter Absingen von Liedern durch die Gassen und Straßen getragen wurden. Das Bettelsingen spielte daher eine große aber auch eine weniger rühmliche Rolle.
So trieb man es jahrzehntelang, bis endlich der alte Lehrer Wilhelm Holthausen mit Unterstützung guter Freunde, von den ihm besonders der Buchdruckereibesitzer und Verleger Ed. Peters helfend und fördern zur Seite stand, sich der Sache annahm, um dem Kinderfeste geordnetere Formen zu geben. Er vereinigte die Lobbericher Jugend am Vorabende des St. Martinstages zu einem Zuge, stellte ihn unter die Aufsicht seiner Kollegen und Kolleginnen und sorgte auch für eine kleine Gabe. Anstelle der primitiven, aber doch originellen Kürbisse traten nach und nach die bunten Papierfackeln. Dem altbekannten "Müllerlied" wurde damals von Holthausen ein neuer Text unterlegt, das heimisch tönende "Sint Meärten es nouw all wer hej" mit seinem kindlichen Humor und dem Loblied auf Mutters "Bockertskook met Aeppel und Look".
Lobberich wuchs und damit auch seine Kinderschar. Das Fest nahm infolgedessen eine immer größere Ausdehnung an. Deshalb war eine organisatorische Verbesserung ein Gebot der Stunde. Am 09.November 1905 gründete nunmehr der Lehrer Jodocus Schaaf den Lobbericher St. Martinsverein, dessen Aufgabe darin besteht, Mittel und Einrichtungen zu schaffen, die der hohen Bedeutung des Festes entsprechen. Und wer am Martinsabende sieht, wie sich der buntfarbige Zug, voran St.Martin in glitzernder Rüstung, umgeben von den Pechfackeln der Feuerwehrleute, märchenhaft dahin bewegt, wer die jubelnden Kinderstimmchen, begleitet von Musikchören, vernimmt, wer die leuchtenden Augen sieht, wenn die gefüllten "Tüten" und der herrliche "Martinsstut" den ausgestreckten Händchen dargereicht werden, wer die heilige Ordnung spürt, die allem obliegt, der weiß, was der Lobbericher St.Martinsveren" unserer Jugend geschaffen hat. Möge dieses althistorische Fest so bleiben, als ein Erbe, das wir unserer Nachkommenschaft hinterlassen zum Segen holder seeliger Kindheit.
(*) Gemeint ist die Jahrtausendfeier des Rheinlandes, die in Lobberich mit einem Festzug begangen wurde.