1000 Jahre Lobberich

Geschichte und ihre Geschichten -
ein Leseheft für Schulen und Familien


Das nun geschilderte Ereignis führt uns in die Nähe der Wende vom 1. zum 2. Jahrtausend, genau in das Jahr 988. Schon längst haben sich überall im fränkischen Reich Bistümer und in Stadt und Land Pfarreien gebildet.

Evergerus' Traum und seine Folgen

Erzbischof Evergerus von Köln legte die Geheime Offenbarung des Apostels Johannes beiseite. Die Nacht war längst angebrochen, und er war müde. Aber er kam heute ab<?,nd nicht zur Ruhe. Sonst ein Mann schnellen Erkennens und Erklärens, wurde er nicht losgelassen vom 20. Kapitel des Buches, das er aus der Hand gelegt hatte. Allzu gerne hätte er die dort gemachte Ankündigung umgedeutet, daß 1000 Jahre nach Jesu Erdenleben der Teufel für kurze Zeit Herrschaft über die Erde erhalten und danach das Weltgericht kommen werde. So konnte er auch die Angst, die in ihm aufstieg, mcht abschütteln . Was sollte er dem gerechten Richter zu seiner Rechtfertigung sagen, wo er doch manchmal Entscheidungen getroffen hatte, die mehr seinem Machtdenken entsprungen waren als der Fürsorge des treuen Hirten, zu dem er als Erzbischof berufen war?

Schließlich übermannte ihn doch ein unruhiger Schlaf. Immer wiedersah er im Traum St. Vitus vor sich stehen, den von den Henkern des Kaisers Diokletian geschändeten Leib über und über mit Wunden bedeckt

"Evergerus, du unnützer Diener unseres Herrn, was hast du nur mit meinem lieben Kloster und seinen Mönchen in Gladebach gemacht? Wer gab dir das Recht, den Konven aufzulösen und nach Köln zu beordern. Wer ermächtigte dich, die Reliquien meines Leibes in die Stadt am Rhein zu schaffen?" So fragte ihn der Heilige vorwurfsvoll und fuhr dann fort: " Ich will, daß die Diener des Heiligen Benedikt unter ihrem Abt Fohlrad nach Gladebach sofort zurückkehren. "

Dann weckten ihn die Glocken zum Frühgebet. Sofort nach der Morgenandacht ließ Evergerus seinen engsten Ratgeber kommen und berichtete ihm von seinem Traum. Der Entschluß, im Sinne des Heiligen zu handeln, war schnell gefaßt. Aber da gab es eine Schwierigkeit: Das Gladebacher Kloster lag in der Diözese Bischof Notkers von Lüttich, der seine Diözesangrenze immer mehr in Richtung auf den Rhein vorgeschoben hatte. Mit ihm müßte er sich einigen, daß Gladebach zur Erzdiözese Köln käme, dann hätte man klare Verhältnisse, und Notker könnte auch nicht mehr Abt Fohlrad für seine Pläne einspannen.

Da hatte der Ratgeber plötzlich einen Gedanken: "Wir sollten", sprach er, "Bischof Notker einen Tausch vorschlagen und, damit er darauf eingeht, etwas mehr bieten als wir erhalten. " Der Plan gefiel dem Erzbischof so gut, daß er gleich weitere Berater hinzuzog, die das Grenzgebiet zwischen den beiden Sistümern genau kannten. Ehe noch der "Angelus "geläutet wurde, verließ ein berittener Eilbote Köln in Richtung Lüttich.

Nach einer Woche stand das von beiden Seiten gebilligte Ergebnis fest Die Kirchen von Tiegion (Tegelen), Lubbruch (Lobberich) und Vennelon (Venlo) kamen zur Diözese Lüttich, während die von Gladebach (Mönchengladbach) und Reithe (Rheydt) dem Erzbistum Köln eingegliedert wupden.

St. Vitus fand bei einer Christenverfolgung den Märtyrertod

Ich weiß nicht, ob Ihr Euch unter der "Kirche von Lubbruch" zunächst die Alte Kirche" vorstellt, wie wir sie heute im Zentrum von Lobberich vorfinden. Das wäre einfach und einprägsam, ist aber leider nicht richtig. Die Kirche, wie wir sie sehen, stammt in ihren frühen Bauteilen (achtet auf die Tuffsteine!) aus der Zeit um 1400. Die jetzige Grundform ist ein liegendes Kreuz, das später durch zusätzliche Seitenschiffe erweitert wurde. Der letzte Ausbau erfolgte erst 1818.

Nun sind seit mehr als einem Jahr Archäologen bei der Arbeit, um dem Boden Geheimnisse zu entlocken und eines kann man so ausdrücken: "Gab es an derselben Stelle ältere Gotteshäuser?"

Noch wissen wir es nicht, aber es gab schon in der Vergangenheit Vermutungen. Eine sprach Anfang der 20er Jahre Professor Dr. Heribert Reiners nach eingehendem Studium seiner Heimatpfarrkirche aus: "Die Kirche wird anfangs ein sehr bescheidener Bau gewesen sein. Ursprünglich vielleicht noch eine Holzkirche, dann vielleicht ein Tuffsteinbau, dessen Material anscheinend beim Neubau der jetzigen Kirche im 15. Jahrhundert verwendet wurde."

Professor Dr. Heribert Reiners, gebürtiger Lobbericher (1880-1960), Sohn des bedeutenden Porträtmalers Jakob Reiners (1828 - 1907), war ein namhafter Kunsthistoriker.  Der Name von Vater und Sohn lebt in der Reinersstraße weiter.  Josef Budde (1893 - 1975) Rektor und Heimatforscher hat den Zusammenhang von ältester Kirche und Burg Bocholtz als überkommene mündliche Überlieferung weitergegeben.

Die im gotischen Stil erbaute Alte Kirche (15. Jahrhundert).

Vermutung! Immerhin haben die Ausgrabungen in der Grefrather Kirche 1962 einen vergleichbaren Tatbestand zutage gefördert. Das ist besonders wichtig, weil beide Pfarren von Anfang an in enger Beziehung zueinanderstanden.

Zur mündlichen Lobbericher Überlieferung, die aber wirklich nur für den Hausgebrauch geeignet ist, gehört, daß man die älteste Kirche am Ort in der Burg Bocholtz suchte, die zwar eine Kapelle besaß, die aber nicht vor dem 14. Jahrhundert gebaut wurde.

Mit Sicherheit dürfen wir davon ausgehen, daß an der "Kirche von Lubbruch" von Anfang an ein Pfarrer gewirkt hat, der Messen las, Sakramente spendete, Kranke betreute und Tote bestattete. Der erste uns bekannte Pfarrer hieß Godefridus. Erist unterdemiahr 1254 genannt.

Von Anfang an wurden die Pfarrer vom Bischof ernannt, der holte aber den Vorschlag eines sogenannten Patrons ein, der Schutzherr der Kirche war. Rechte von Schutzherren konnten auch Klöster ausüben. So wissen wir, daß vor 1221 ein Kloster in Belgien, Halem, dieses Recht in Lubbruch ausübte und daß danach das Prämonstratenserkloster in Knechtsteden dieses besaß.

Daß der Pfarrer von Lubbruch von Anfang an im Auftrag des Patrons auf dem von ihm verwalteten Wedenhof auch einen Zuchtbullen und Eber gehalten hat, ist nicht überliefert.

Wedenhof - eigentlich Mitgiftshof, da der Pastor ihn zur Nutzung geliehen bekam. Er verfügte von Anfang an nicht über alle Vermögensteile der Kirche, so bestritt man einen Teil der Kosten für Ausbesserungsarbeiten an der Kirche aus einem eigenen Topf", man sprach in diesem Zusammenhang von Ausgaben für die "Kirchenfabrik".

Später war er dazu jedenfalls durch den Besitzer, die Mönchsgemeinschaft von Knechtsteden, verpflichtet. Bis 1841 Waren fast alle Pastöre in Lobberich Prämonstratensermönche.

Der Orden der Prämonstratenser wurde 1119 durch Norbert von Xanten ins Leben gerufen. Die Mönche in den weißen Gewändern widmeten sich der Seelsorge und gingen wie die verwandten Zisterzienser durch Trockenlegen von Sümpfen und Roden von Wäldern in die Geschichte ein.

"Kirche von Lubbruch", das waren nicht nur die Kirchengebäude und Pfarrer, das war vielmehr auch die Gemeinschaft bäuerlicher Familien, die wahrscheinlich schon um 1000 in dem Raum wohnten, der auch heute noch als Lobberich bezeichnet wird: Dyck mit Rennekoven, Unter- und Oberbocholt mit Heidenfeld, Sassenfeld und das Dorf mit Sittard und Flothend. Pastor Bernhard Kempen beschrieb einmal im vorigen Jahrhundert den Pfarrbezirk treffend so: 2 Stunden Fußweg von Süden nach Norden und 1 von Osten nach Westen.

Wir wissen nicht, wieviele Menschen damals 988 erfuhren, daß ihr Bischof nicht mehr Evergerus, sondern Notker von Lüttich sei. Wenn man die Bevölkerungszahl für das 14, Jahrhundert auf Grund einer vorliegenden Rechnung mit etwa 475 anzugeben wagt, so dürfte sie zu Beginn des Jahrtausends für das ganze Kirchspiel (Pfarrbezirk) deutlich geringer gewesen sein.

Wir müssen uns klarmachen, daß diese Menschen alle in Abhängigkeit lebten. Das Land, welches sie beackerten, hatten sie von einem Herren geliehen, und erst im Laufe der Jahrhunderte wurden solche Ländereien immer mehr zum Erbgut der Familie. Auch die Lasten, die man für geliehenes Land den Herren zu leisten hatte, wandelten sich. Getreide- oder Viehabgaben wurden schon im Spätmittelalter durch Geldzahlungen abgelöst. Die meisten Bauernstellen waren so klein, daß sie nur die auf ihnen arbeitenden Menschen ernährten.

Wer damals die Herren im Moilgau waren und damit wahrscheinlich auch Lehnsherren in Lubbruch, wissen wir nicht. Es kann wohl sein, daß die Herren von Krickenbeck in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts ihre Vorrangstellung den Grafen von Geldern überlassen mußten. Diese sind jedenfalls ein Jahrhundert später mächtige Lehnsherren in Lobberich, von denen u. a. Burg Bocholtz abhing.

Die Forschung hat für das Bistum Lüttich ergeben, daß die Gaue und Grafschaften um das Jahr 1000 auch für die kirchliche Gliederung in Großdekanaten (Archidekanaten) und Dekanaten maßgebend waren. Rektor Josef Budde vermutete, daß Lobberich zuerst zum Dekanat Straelen gehörte, ehe es zum Dekanat Wassenberg kam (ab 1561 gehörte es zu Krickenbeck).


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Geschichte(n) - auch aus anderen Quellen.