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Donnerstag, 01. April 2004


20. Juli 1944: Der Aufstand des Gewissens


Der Tag im Grenzland: Erlebt und wiedergegeben von Günter Nonninger

Grenzland. Einige Jahre vor Beginn des zweiten Weltkriegs wurde im Grenzgebiet zu den Niederlanden zwischen Brüggen und Leuth sowie Kaldenkirchen und Keinpen das III. Bataillon Grenzregiment 26 aufgestellt. Die in dieser Region ansässigen Reserveoffiziere des ersten Weltkriegs stellten das Ofrizierskader. Dieser Krieg, ihre Erfahrung und sein Ausgang beherrschte ihre Einstellung zum Kriegsgeschehen der kommenden Jahre.

Ihre politische Gesinnung war deutsch-national, und zumeist gehörten sie dem "Stahlhelm", der Vereinigung der Frontsoldaten 1914/18, an.

1939 begann der Krieg: Der Polenfeldzug wurde in 14 lägen gewonnen. Es folgte der Westaufmarsch am 10. Mai 1940 mit dem Angriff auf die Niederlande, Belgien und Frankreich. Aus der Eifel heraus stürmten die deutschen Truppen die als uneinnehmbar geltende Maginot-Linie. Erstmals hörte die Bevölkerung den Namen "Rommel", der mit seiner 5. Panzerdivis!on über die Schlachtfelder von 1914/18 bis an die Kanalküste vordrang.

Auch das Bild des Grenzgebiets wandelte sich: In einigen Orten gab es mehr Soldaten als Einwohner. Am gleichen Tag wie der Angriff auf die Niederlande wurde das Hauptquartier der 6. Armee in das Kloster Maria Helferin am Grenzübergang Schwanenhaus verlegt.

Bereits 1936 bis 1938 arbeiten die Menschen nach wirtschaftlich schwierigen Zeiten am Bau des Westwalls zwischen Basel und Kleve. Mit der parallel von Basel bis Lobberich verlaufenden Luftverteidigungszone West entstanden auch die großen Flakbatterie- und Scheinwerferstellungen rund um Lobberich.

Anfangs waren die Offiziere des III. Bataillon mit Begeisterung bei der Sache, galt es doch, sich von der "Schmach von Versailles" zu befreien.

Im Büro meines Vaters hing eine Landkarte von Nordfrankreich mit den Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs.

Täglich gegen 11 Uhr kam der neue Wehnnachtsbericht über das Radio. Vor der Karte versammelten sich Freunde meines Vaters, Bekannte und Angestellte, aber auch wir Jugendliche.

Sondermeldung auf Sondermeldung berichtete über das Vordringen Rommels.

Mit Fähnchen wurde auf dieser Karte die Einnahme der Schlachtfelder von 1914/18 gekennzeichnet: Verdun, Somme, Cainbrai, Arras, St. Quentin.

Vier Jahre kämpften die Soldaten im ersten Weltkrieg mit Millionen Verlusten an Soldaten. Hatten im Dreck gelegen, wurden verwundet und dekoriert, waren letztendlich aber"unbesiegt11 wieder abgezogen.

Die Erfolge Rommels rührten die alten Soldaten zu Tränen. Ich kann mich erinnern, wie sie im Sog des Erfolgs die erste Strophe des Deutschlandliedes anstimmten, und stolz verkündeten: "Wör haben et die Franzusen gezeigt! Nä, nä wat habe wör für ene Führer und wat fur en tolle Wehrmacht." Aber die auslandserfahrenen Offiziere waren skeptisch.

Am Abend des 30. Mai 1940 - ich habe dieses Datum nie vergessen - saßen eine Reihe der Offiziere, Freunde meines Vaters, im Garten der Apotheke Hoffmans als durch eine Sondermeldung im Radio folgende Aufforderung kam: "Wecken sie Ihre Nachbam. Es folgt eine wichtige Meldung aus dem Führerhauptquartier."

"Krieg ist sinnlos"

Aber was folgte, war eine nichts sagende Meldung. Obwohl bereits einige Gläser Wein getrunken worden waren, legte sich eine seltsame Stille über die Runde. Sie wurde durchbrochen durch die innere Überzeugung aller: Was soll dieser Krieg. Er ist sinnlos und jetzt schon verloren. Jetzt kommen die Amerikaner mit ihrem Material. Wir verrecken noch alle. Die Nazis bringen uns noch um. Denkt an Versailles. Wer so mit den Juden, Kirchen und Ausländern umgeht, kann keinen Segen haben."

An jenem Abend versuchten die Ehefrauen vergeblich ihre Männer zum Schweigen zu bringen, aber sie ließen sich nicht beruhigen. Wieder und wieder baten die Ehefrauen in Sorge um ihre Familien: "Seid still, wenn das jemand hört." Jedoch sagten sie immer wieder laut, der Krieg sei sinnlos.

Der Krieg nahm seinen Lauf. Insbesondere der Russlandfeldzug brachte immer größere Verluste.

Die ursprünglich im Kloster Maria Helferin untergebrachte Stabseinheit der 6. Armee war in Stalingrad untergegangen. Die Offiziere sahen sich bestätigt.

Machtlos, etwas zu tun, sprachen die Offiziere untereinander verbittert und mit größter Vorsicht, dass nur keine unbedachten Äußerungen an einen Spitzel gelangten.

Claus Schenk, Graf von Stauffenberg.

Beim "Aufstand des Gewissens" zündete er den Sprengsatz.

Dafür wurde er noch in der Nacht zum 21. Juli im Hof des Berliner "Bendlerblocks" hingerichtet.

Die Geschichte gab Stauffenberg Recht.

Die Folgen wären nicht nur fatal für die Familien gewesen, auch wären die Offiziere wegen Wehrkraftzersetzung vor ein Standgericht gekommen und zum Tode verurteilt worden.

Aufgrund der kritischen Haltung gegenüber der Kriegsentwicklung nahmen die Offiziere und ihre Familien ab 1942 Englischunterricht bei Studienrat Roth von der Höheren Schule in Lobberich. Zur Sicherheit vor den Nazis fand der Unterricht immer in anderen Häusern statt. Die heute für jeden selbstverständlichen Sprachkenntnisse mussten erlernt werden, um über die BBC, die im Grenzgebiet gut zu empfangen war, Informationen über das wahre Kriegsgeschehen zu erhalten. Auch wollte man vorbauen, um später auch mit den Ehgländern und Amerikanern sprechen zu können. Die düstere Zukunftsperspektive und die ablehnende Gesinnung gegenüber den Nazis veranlassten neben den Offizieren auch Fabrikanten, Bauern und Kaufleute zum Erlernen der englischen Sprache.

Der Tag des Aufstands

Am Morgen des 20. Juli 1944 waren die Offiziere, darunter mein Vater, zu einer ihrer Stabsbesprechungen im Wehrbezirkskommando in Krefeld im Hansa-Haus zusainmengekommen. Zu solchen Besprechungen reisten die Offiziere mit dem Bus an und ab, denn Autos und Benzin gab es schon lange nicht mehr.

Auf der Rückfahrt gegen Mittag in Süchteln kam die Nachricht vom Attentat auf Hitler und das er durch einen glücklichen Zufall überlebt hatte. Aufgewühlt stürzten die Herren in den gerade leer gewordenen Anhänger der Buslinie nach Lobberich. Kaum hatte sich dieser in Bewegung gesetzt, gab jeder der Offiziere - bis auf einen der unbeachtet blieb - seinem Entsetzen freien Lauf. "Ist das Schwein schon wieder davon gekommen! Hat der schon wieder einmal Glück gehabt?! Wo soll der Krieg noch hinführen? Jetzt werden die Nazis total verrückt." Die Stimmung war gereizt.

Als der Bus auf der Süchtelner Höhe in Richtung Lobberich eingeschwenkt war, riss der bis dahin schweigende Offizier, Oberleutnant G. und Rektor der Breyeller Volksschule, seine Pistole heraus und schoss in die Decke des Busses. Dabei brüllte er: "Meine Herren, wie können Sie es wagen, so von unserem geliebten Führer zu sprechen, statt Gott auf Knien zu danken. Der Führer sorgt Tag und Nacht für den Endsieg und hat Sorge um unser Volk. Ich bringe Sie vor den Volksgerichtshof, damit Sie Ihrer gerechten Strafe...." Weiter kam er nicht, denn er hatte den hinter sich sitzenden Hauptmann Hennen, Rektor der Lobbericher Volksschule, übersehen. Dieser hatte nun seinerseits unbemerkt seine Pistole gezogen, die er dem Oberleutnant G. in den Rücken drückte und befahl, die Pistole fallen zu lassen. Die Pistole fiel - entsetztes eisiges Schweigen.

Jeder der beteiligten Offiziere, darunter Hauptmann der Reserve Hennen, Rittmeister Dr. Girmes, Oberleutnant Nonninger, Oberleutnant Taut sowie je zwei weitere Herren aus Kaldenkirchen, Brüggen und Bracht waren entsetzt, diesen "300-prozentigen" Nazi unerkannt in ihrer Mitte zu haben.

Welche Folgen konnte dieser Fall nach sich ziehen? Man nahm sich G. vor und erklärte ihm kurz und bündig: "Wenn jemanden aus dieser Runde auch nur ein Haar gekrümmt werden würde, werde man Mittel und Wege finden, sich zu rächen."

Der Krieg ging weiter. Unverdrossen traf man Vorsorge zum Überleben. Man half sich einander, so gut man konnte. Hier im Grenzland hatten sich viele von der großdeutschen, national und Endsiegorientierten Gesinnung befreit. Aber dennoch waren alle mit ihren Äußerungen sehr vorsichtig.


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