Erinnerung an meine Großmutter
von Wilhelmine Steinberg, geb. Strack 1987
aus: Nettetaler Spätlese. Zeitung für ältere Menschen Nr. 7 / 2002
Meine Großmuter, die 92 Jahre alt wurde, verlebte die letzten 7 Jahre bei uns im Hause.
In vielen Dämmerstunden plauderten wir zusammen. Mit Vorliebe und zu meiner Freude, erzählte sie aus der Vergangenheit; besonders erwähnte sie die Anfänge der Selbständigkeit von Großvaters Gärtnerei in den Gründerjahren um 1870 herum.
Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, in welch' engem Zusammenhang die Stracks zu den Niediecks standen.
Die Firma Niedieck stand zu dieser Zeit auf der Höhe ihres wirtschaftlichen und privaten Erfolges, gegründet 1855 von Julius, der schon bald seinen Bruder Karl als Teilhaber aufnahm. Beide Männer wiesen hohe kaufmännische und technische Qualitäten auf und führten die Firma in ungeahnte Höhen.
Schon ihr Vater Iwan besaß im westfälischen Stromberg eine kleine Fabrik, so hatte sich das Talent zur Selbständigkeit vererbt. Ehe die Söhne den Schritt wagten, hatten sie sich im Ausland umgesehen und dadurch über die Grenzen hinweg Verbindungen angeknüpft.
Außer auf der Breyeller Str. in Lobberich, dehnten sich auch auf der Süchtelner Straße große Fabrikhallen aus. Angeschlossen daran befand sich eine Lehrwerkstatt, was zur damaligen Zeit großen Fortschritt bedeutete. Eine Niederlassung in Amerika (New York) gab der Firma ein internationales Ansehen.
Nachdem sein Bruder Karl durch die Heirat mit Katharine Kessels, Tochter vom Bürgermeister der Gemeinde Lobberich, nach dessen Tod Eigentümer von Haus Ingenhoven wurde (1866), bebaute Julius das Nachbargrundstück und lebte in dem heutigen Haus Erlenbruch. Karls Tochter Lucie verkaufte 1935 Burg Ingenhoven an die Gemeinde Lobberich.
Julius Sohn Paul war der berühmte wissenschaftliche Forscher, Reiseschriftsteller und Großwildjager. Sein Buch "Mit der Büchse durch 5 Erdteile" ist wohl sein bekanntestes.
Tochter Berta heiratete einen von Heimendahl, Besitzer von Schlösschen und Gutshof in der Nähe von Kempen, wo heute noch die Erben schalten und walten. Mein Großvater, 1845 in Honnef am Rhein geboren, trat als junger Obergärtner in den Dienst der Familie Niedieck.
Früher besaßen die Herrschaften, wie man Fabrikanten nannte, außer prächtigen Häusern ausgedehnte Parkanlagen, auch noch Gewächshäuser, wo zu jeder Jahreszeit grüne und blühende Pflanzen ihre Augen erfreute und ihre Räume schmückten. Großvater war im gärtnerischen Bereich auf den verschiedensten Gebieten ein Fachmann und betätigte sich auch darin. Nicht nur, dass er zu Weihnachten Flieder und Maiglöckchen zum Blühen brachte, er verstand es auch, mit einem Neveliergerät umzugehen und eignete sich so sehr gut zum Gartengestalter. Baumschulist war er ja schon von Berufs wegen. Er hat wesentlich zu den Garten- und Parkanlagen der Häuser Erlenbruch und Ingenhoven beigetragen, ebenso an Schloss Krickenbeck.
Azaleen, die wunderschönen Pflanzen, die uns neuerdings von Herbst an (früher erst ab Weihnachten) bis Frühjahr mir ihren Blüten in allen Farbschattierungen erfreuen, waren damals in unseren Breiten so gut wie nicht bekannt. Belgien war das klassische Züchterland.
Herr Niedieck interessierte sich sehr für diese Neuheiten und suchte jemand, der nach Belgien reisen konnte, um sich dort umzusehen und Erkenntnisse zu sammeln. Großvater meldete sich und Herr Niedieck war erstaunt, in seinem Obergärtner einen Mann gefunden zu haben, der nebenbei gesagt auf Jagd ging und der auch französisch parlieren konnte.
In Belgien, hauptsächlich im Raum um Gent, liegen die vielen Gärtnereien. Großvater sah sich gründlich um und sammelte eifrig Erfahrungen, nicht nur für die Niediecks, sondern auch für sich. Nachdem er seinen Auftrag für die Firma mit Erfolg erledigt hatte, dachte er an sein weiteres Fortkommen und machte sich 1872 selbständig, und zwar auf der Bahnstr., der jetzigen Niedieckstr.. Seine ersten Gewächshäuser baute der aus Holland stammende Baumeister Jakob Tümmers. Nach wie vor waren die Niediecks meinem Großvater sehr gewogen und wurden seine besten Kunden. Alle Kinder Opas betätigten sich auf gärtnerischem Gebiet. Meine Tante (Frau von Theobald Bongartz), erzählte mir, wie sie bei Festlichkeiten in den Häusern Ingenhoven und Erlenbruch stets die Tischdekorationen arrangieren musste.
Mein Vater hatte, wie jeder junge Mensch, auch seine Träume und Wunschvorstellungen vom Leben. Am liebsten hätte er dem Großwildjäger Paul Niedieck, dessen Bücher er eifrig las, nachgeeifert und wäre auch in die Welt hinaus gezogen. Doch damals war das für einen Gärtnersohn einfach unmöglich, und es musste ein Wunschtraum bleiben. Nebenbei führte mein Großvater ein strenges Regiment. So blieb meinem Vater als einzigem Sohn keine andere Wahl als Gärtner zu werden. Doch erhielt er eine gute Ausbildung und er hat auch eine Zeit in Belgien gelernt und gearbeitet und viele schöne Beziehungen angeknüpft, die sich über Jahrzehnte bewährten.
Nicht alles, was sich unsere Vorfahren erhofften, hat sich verwirklichen lassen.
Doch mit Fleiß, Geschick und Unternehmungsgeist brachten sie ihre Unternehmen zu ihre Zeit zu großem Ansehen.