Dreizehntes Kapitel.
Der "Zehnte" und die Lobbericher "Zehntherren".
Der "Zehnte" oder zu plattdeutsch "die Tieng" zu Lobberich war von altersher ein Gaffell oder Garbenzehnten. Jede "zehnte" Gaste war für die Zehntherren und nach alter Gewohnheit mußte jede Gaste aus vier Garben bestehen. Die Zehntherren konnten ihren Zehnten in natura selbst einscheuern, an einzelne verpachten, oder auch gegen eine bestimmte Lieferung an Naturalien oder Geld der Gemeinde überlassen. Wurde ersteres beliebt, so durfte Niemand die Frucht einfahren, bis die zehnte Gaste für den Zehntherren ausgewählt und eingescheuert war. Erst dann, wenn sie sich mit den Zehntherren verständigt hatten, war es den Bauersleuten erlaubt, ihre Feldfrüchte einzuscheunen.
Fahne in Bocholtz, I. Bd. I. Abth. S. 281 hat über den "Lobbericher Zehnten" folgendes:
"Das Patronat der Kirche (von Lobberich) samt dem Zehnten zu Lobberich, worauf es haftete, war schon früh in die Hände des Frauenklosters zu Halem
Das Stift, welches Lacomblet in der Urkunde v. J. 1221 anführt, hieß nicht Halem, sondern Halissem oder Helissam, berühmtes Prämonstratenserkloster in Brabant. Helissem liegt bei Thenen in Brabant.
(dieses Cisterzienser-Nonnenkloster hieß eigentlich Rocheem, später Rotthem und lag in der brabantschen Stadt Halem, jetzt Halen an der Geete, im Quartier von Löwen,) gelangt, und von diesem den Grafen von Molbach in der Art abgetreten, daß diese den halben Zehnten für 18 Schillinge jährlich, in eigene Benutzung bekamen, die andere Hälfte aber dem Pastor von Lobberich überlassen mußten, der dafür 5 Schillinge jährlich dem Kloster zu bezahlen hatte. Alveradis von Molbach, die letzte dieses Grafengeschlechtes, übertrug mit Zustimmung des Klosters Halem ihr Patronatsrecht mit halbem Zehnten 1221 (Lacomblet II, 52) der Abtei Knechtsteden, was nach ihrem Tode, 1245 am 26. April, ihr letzter Eheherr Otto von Wickrath bestätigte. (Lacomblet, II., 151.) Auch der Graf Reinard von Geldern und dessen Ehefrau Margaretha, welche an dem Patronat Ansprüche zu haben behauptet hatten, verzichteten auf ihre Rechte zu Gunsten der Abtei, wogegen diese sich 1328 den 30. August verpflichtete, die Universarien der Grafen und Gräfinnen von Geldern zu feiern. (Nyhoff, I., 240.)
Wie lange das vorstehende Zehntverhältnis bestanden, ist nicht bekannt, aber schon zu Lebzeiten der Gräfin Alveradis von Molbach, der letzten dieses Geschlechtes, hatte Lobberich 2 Zehntherren, die Grafen (und späteren Herzöge) von Geldern und den Besitzer des Kirchenpatronates, zuerst die Gräfin von Molbach und später die Abtei Knechtsteden, unter welche der große, wie der Flachszehnte, in 2 Hälften geteilt war.
Die erste Hälfte des Lobbericher Zehnten war im Besitze derr Grafen und späteren Herzoge von Geldern.
Im Jahre 1556 bezog Kaiser Karl V. als Herzog von Geldern, welches Herzo.g Wilhelm von Jülich und Geldern im Jahre 1543 ersterem hatte abtreten müssen, (nach dem Krickenbecker Rentbuche) aus dem Lobbericher halben Zehnten:
Von dem "Flachszehnten" zu Lobberich 12 Carolus-Gulden, ausmachend 12 L.
Von dem "Lämmerzehnten" zu Lobberich 27 S.
Von den (halben) "großen Zehnten" zu Lobberich, welcher dem Grafen von Mörs anno 1364 zur sogenannten "Mörs'chen Pfandschaft"
Herzog Eduard von Geldern verpfändete im Jahre 1364 für eine Summe von 30 000 alten Schilden unter anderem auch gewisse Einkünfte im Lande Kessel und im Amte Krickenbeck, (hier den halben Lobbericher großen Zehnten, zu Leuth, Hinsbeck, Wankum und Grefrath Einkünfte,) an den Grafen Johann von Mörs. Hiervon rührt die Benennung: "Mörser Pfandschaft." Außerdem vorg. halben Zehnten gehörten noch verschiedene Güter Lobberichs zur gen. Pfandschaft.
vom Herzoge von Geldern mit verschrieben war, für 70 par Korns jährlich, großer stehender venloischer Maßen machend 78 Malter und ein drittenteil. In diesem Jahre wurde das par 72 stüber berechnet, machte 282 L. Für diesen halben Zehnten mußte der Kaiser als Rechtsnachfolger des Herzogs von Geldern, wie auch dieser vordem zum Bedarf der Eingesessenen von Lobberich "einen varre" mil "einen beer" (Zuchtstier und Eber,) sowie einen "Braukessel" unterhalten. Und:
Von einem "kleinen Zehnten" von neuem, urbar gemachten Ackerlande, genannt "das Heetuelder (Heidenfelder) Thientgen." Dieses wurde nach alter Gewohnheit jährlich einem Manne überlassen, der dafür für denHerzog resp. den Kaiser den Zuchtstier und den Eber unterhielt.
Das "Promenoria" der "Mörser Pfandschaft" vom Jahre 1556 giebt folgende Einkünfte aus dem (halben) Lobbericher Zehnten an:
Von dem "schmalen Zehnten" zu Lobberich: 2 Mk.
Von dem "großen Zehnten" zu Lobberich: 90 Malter Roggen und 90 Malter Hafer.
Vom "herberchs-korn" zu Lobberich: 12 Malter Roggen, 2 Sester Hafer und 118 Hühner.
Laut Vertragzwischen der Gemeinde Lobberich und dem Grafen Hermann von Mörs, als Pfandherrn, wurde i. J. 1562 der "große Zehnte" in eine Erbpacht von jährlich 116 Par Korn und 116 Steine Flachs vewandelt.
Die zweite Hälfte des Lobbericher Zehnten war im Besitze der Gräfin Alveradis von Molbach; diese, die letzte ihres Geschlechtes, übertrug i.J. 1221 das Kirchenpatronat zu Lobberich, mit ihrem halben Zehnten daselbst, der i.J. 1130 gestifteten Abtei Knechtsteden. Im Jahre 1221 bestätigt der Probst Lupertus des Prämonstratenser-Kapitels Hellisem in Brabant
Lacomblet, Urk-Buch II., 96 und 291
die Lobbericher Schenkung der Gräfin Alveradis v. Molbach an die Abtei Knechtsteden; der Lobbericher Zehnte war nämlich an die Kirche von Hellissem 'churmud-pflichtig. Im Besitze dieses, der Freigebigkeit der Gräfin Alveradis zu verdankenden halben Zehnten zu Lobberich verblieb die Abtei Knechtsteden bis zur Aufhebung der Zehnten durch die französische Republik im Jahre 1798, der die Aufhebung der Abtei i.J. 1802 auf dem Fuße folgte.
Über das Einkommen der Abtei Knechtsteden aus dem "halben Zehnten" zu Lobberich gibt uns das Lobbericher Kchbch. I, S. 3 und 3a folgenden Aufschluß:
Als der Lobbericher Pfarrer Pater Gerh. Stralgen i.J. 1543 Abt zu Knechtsteden geworden war, trafen die von Adel, Scheffen und Geschworene, sowie die Vorsteher von Lobberich mit diesem und dem Konvent zu Knechtsteden ein mündliches Abkommen, die Abtei möge fernerhin, wie auch bis jetzt seit undenklichen Jahren geschehen sei, ihre Zehntfrüchte zu Lobberich nicht selbst einscheuern lassen, sondern, wie bisher seit langen Jahren geschehen sei, gegen Lieferung einer sicheren Taxe jährlich auf St. Andreas-Aposteltag, oder längstens 8 Tage darnach, der Gemeinde Lobberich zu überlassen. Diese seit "undenklichen Jahren" bestehende Taxe bestand aus 85 Par Korns, halb Roggen, halb Hafer, reine "wolgewennter
Gewannt; damals waren noch keine Wannmühlen und mußte alle Frucht mit der Wanne rein gemacht werden. Markgeber war gute Marktwaare.
markgeber Früchten, Lobbericher Maßes und 100 Steine reines, gutesund wohlgeschwungenes Flachs, welche Früchte und Flachs an dazu von der Abtei verordnete Leute zu Lobberich geliefert werden mußten. Dagegen solle das Gotteshaus Knechtsteden des "Kirspels-hof", von diesem genannt, darauf ein anwesender Pastor zu Lobberich wohnet, mit Land, Sand und allem Zubehör, recht und gerechtigkeit, alle zeit ewiglich, erblich und eigentümlich haben, nutzen und gebrauchen, ausbedungen jedoch, daß die "untergelt" daraus jährlich erblich, als nämlich 11 Malter Roggen und 11 Goldgulden, wie von altersher der Kirche zu Lobberich bezahlt worden, nunmehr von der Abtei geleistet würden. Dieser versuchte Akkord, der nur mündlich geschlossen, blieb faktisch in Kraft. Als nun im Jahre 1573 der Abt Gerhard Straelgen gestorben war, versuchten die von Adel, Scheffen, Geschworene und Vorsteher Lobberich's im Jahre 1575 wiederum den Abt und Konvent zu Knechtsteden, "daß sie ihre Frucht aus dem Feld ohne Zehnt möchten einscheuern können", wogegen Lobberich die vorerwähnte Taxe von 85 par Korns, halb Roggen, halb Hafer und hundert Steine Flachs jährlich auf St. Andreas-Aposteltag oder längstens acht Tage darnach an die Abtei Knechtsteden liefern wolle, und den "Wiedems- oder Kirspelshof" an die Abtei abtreten wolle, wie dieses ja auch schon seit undenklichen Jahren gehandhabt werde. Wiederum wurde dieser Vertrag stillschweigend beiderseitig weiterbefolgt, ohne von dem Konvent bestätigt zu werden. Nachdem nun im Jahre 1621 die von Adel, Geerbte, Scheffen, Geschworene und Vorsteher des Kichspiels Lobberich abermals "freundlich und nachbarlich" den Abt und Konvent baten, vorgenannte Verträge förmlich zu bestätigen, und ihnen hierüber "Siegel und Brief" zu erteilen, wurde hierüber ein Kapitel abgehalten. Am 12. Juli 1621 bestätigten sodann: Leonhard Teveren, Abt, Wilhelm Gruiter, Prior; Martin Huinshouven, Superior; Heinrich Xylander (aus Leuth,) Custos; Arnoldus Hertzogh, Kantor; Peter Wincken, Provisor; Anton Eschweiler, Cellerarius und sämtliche Konventualen zu Knechtsteden, daß sie nach abgehaltenem Kapitel sich entschlossen haben, "sich des einscheuerns aus dem Felde ganz und gar, zu ewigen Tagen zu begeben, wie sie dann kraft dieses sich begeben, dergestalt, das vorgemeldete Geerbten und Geschworenen des Kirchspiels Lobberich nunmehr und hinfort erblich und allezeit zu ewigen Zeiten und unwiderruflich, alle und jegliches Jahres unseren Antheil allda das habende halbens umgehendes Zehntes mit selbigen Vorwart, wie oben, sollen mögen aus dem Feld scheuern, Kaaf und Stroh behalten und daß dieselben von Lobberich dagegen vor uns und unsere Nachkömmlinge oder deren dazu verordneten Vollmächtige alle und jegliches Jahr auf vorbestimmte Termin oder Zahltag vorbenannte Taxe und Summe von Früchten, nämlich 85 par Korns, halb Roggen, halb Hafer, und 100 Stein Flachs, vermöge der Register, alles markgeb gut, wie Erbrente, loß, frei und Komerloß, in unseren gehalt und gewalt unfehlbar zu Lobberich dergestalt liefern und zu bezahlen sollen gehalten sein; und daß unser Gotteshaus Knechtsteden Eigenthümlich besitze, haben und nutzen soll, den bis anher gewesenen "Kirspelshof" mit seinem Baumgarten, Länderei Busch, und Gerechtigkeit, denselben verkaufen, versetzen, seines gefallens und besten Nutzens nach, ohne jemandes Einrede, jedoch die "Untergelt" den Kirspel oder der Kirche, Erblich und Ewiglich, wie bisanherr, bezahlt werde, (von der Abtei,) neben dem Schatz, welchen die Vorsteher des Kirspels darauf gesetzt haben. (Das heißt auf dem Pfarrhof.) Was wir Abt und Konvent sonst als Zehntherr schuldig sind und aus unserm habenden halben Zehnten zu tragen, dessen verbinden wir uns auch kraft dieses in aller lieb, freundschaft und Nachbarschaft, als nämlich damit die Gemeinde gebührlich bedient sei, eine "Sprinckrind und Beer," (Zuchtstier und Eber) und den Chor der Kirche in Reparation zu halten, unverfänglich jedoch und alles nach Laut und Inhalt der Statuten des Bistums Roermond und Ordination des Edlen Hofes daselbst. Hierüber sollen unserm mehrgemeldeten Gotteshaus von des Kirspels zu Lobberich oder dessen Vorsteher aufrichtige Register und unterpfand nun und hernachmals, so oft es nötig sein wird, eingeliefert werden, alles ohne Gefahr und Arglist haben sich auch vorgemeldete von Adel, Scheffen, Geschworenen und Geerbte des Kirspels Lobberich durch ein Unsern Gotteshaus ausgegebenen und ein gelieferten, unter dem Scheffensiegel Reversal verbinden, die Zehnden in Mahn wie oben stehet zu bezahlen. Dessen zu mehreren Versicherung und zu wahrer Urkundt haben wir Abt unser Abbatial-Siegel, und wir Prior und Konvent unsern Konvents-Siegel unten an diesen Brief wissentlich gehangen und zu mehrerer Sicherheit und fester stetigkeit haben wir auch den Hochwürdigen in Gott Vatter und Herrn, Herrn Petrum Gossetium, Unseres Klosters Knechtsteden Patrem Abbatem, und des Ordens von Prämonstrat Generalem demüthig und unterthänig gebeten, daß ihr hoch. W. gelieben woll, gegenwärtig Vertrag mit allen einverleibten Clauseln und Punkten zu ratificiren, Confirmiren und Bestätigen, und sein Siegel und Ratification durch sich selbst oder seinen Bevollmächtigten hier neben zu hangen."
Wie aus Vorstehendem ersichtlich, hatte die Gemeinde Lobberich es verstanden, schon seit Jahrhunderten das Einscheuern der Zehntfrüchte seitens der beiden Zehntherren in natura von sich abzuhalten und beide durch Zahlung oder Lieferung einer bestimmten jährlichen Quote zufrieden zu stellen.
Das vorstehende Lieferungs-Verhältnis für beide Zehntherren blieb hinfür dasselbe, bis die französischen Gewalthaber i.J. 1798 durch Aufhebung aller Zehnten, demselben ein gewaltsames Ende bereiteten. Ein mir sehr gut bekannt gewesener Bauersmann, der längst das Irdische verlassen, meinte: Die Aufhebung der Zehnten wäre das Beste, womit die Franzosen uns damals bescheert hätten.
Vierzehntes Kapitel: Das Steuerwesen