Die Alte Kirche St. Sebastian
in Nettetal-Lobberich
von Clive Bridger
in:
Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz:(Hg.): Jahrbuch
1988:
Archäologie im Rheinland 1987, Köln (Rheinland-Verlag GmbH 1988,
123ff.
Im Vorfeld umfangreicher Renovierungsarbeiten in der Alten Kirche in Nettetal-Lobberich wurde zwischen Februar 1986 und September 1987, jedoch mit längeren Unterbrechungen, eine Grabung im Kircheninneren durchgeführt. Wegen einer Planungsänderung zerfiel die Untersuchung in zwei Phasen; während im Anfangsstadium eine ordnungsgemäße Tätigkeit möglich war, konnte die Außenstelle Xanten im September 1987 lediglich dort, wo Heizungsschächte installiert werden sollten, wenige Suchlöcher kontrolliert ausheben.
Die sog. Alte Pfarrkirche in Lobberich, die wie ihre Nachfolgerin dem Hl. Sebastian geweiht ist, liegt etwas erhöht am Südende des älteren Ortskerns, auf einem Gelände mit einem starken Gefälle nach Süden hin, zur ehemaligen Burg der Familie von Bocholtz, Haus Ingenhoven.
Nach P. Clemen (und dem ihm folgenden J. Finken) geht die Bausubstanz der Kirche auf die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts zurück. Dieser Datierung des damals Sichtbaren standen eine Glocke des Jahres 1397, der Grabstein des 1359 verstorbenen Gerhard Bocholtz, ein Taufstein aus dem 12./13. Jahrhundert sowie verschiedene schriftliche Urkunden gegenüber, die auf eine frühere Kirche hindeuteten, die die lokale Tradition aber nicht hier, sondern am 50 m südlich liegenden Haus Ingenhoven lokalisieren wollte. Durch die Renovierungsarbeiten wurden nun Bauteile freigelegt, die erhebliche Korrekturen der Clemen'schen Beschreibung und Datierung erforderten: Clemen sah wegen der verschiedenen Baumaterialien zwei Bauphasen, den gotischen Hauptbau und den Turm. Tatsächlich bestehen beide Teile aber durchweg aus Ziegelsteinen; die wenigen sichtbaren Tuffreste gehören zu einer Vorgängerkirche und wurden im gotischen Neubau wieder verwendet.
Die archäologischen Untersuchungen haben Vermutungen, es habe einen Vorgängerbau gegeben, eindeutig bestätigt (Abb. 71).
Nettetal-Lobberich
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Zwischen den Pfeilern 14 und 15 wurde ein zweischaliges Mauerfundament aus Tuffstein freigelegt (049), das eine vom gotischen Bau leicht abweichende Flucht aufweist. Während es im Osten mit dem Tuffkern des Pfeilers 15 im Verbund zu liegen scheint, ist es im Westen beim Bau des Pfeilers 14 gestört worden. Dieser Tuffpfeiler ruht überraschenderweise auf einem Ziegelfundament, er gehört daher zum gotischen Ziegelbau. Unterhalb der heutigen Chorstufe aus Blaukalkstein (069) findet sich eine ältere Chorstufe aus mindestens fünf Tuffsteinlagen (071). Diese Chorstufe war zum Innenraum hin profiliert und wies Reste eines weißen Verputzes und roter Bemalung auf. Zusammen mit dem Kern des Pfeilers 15 möchten wir das Fundament 049 und die Chorstufe 071 einer vorwiegend aus Tuffstein bestehenden Vorgängerkirche zuordnen, die möglicherweise als romanischer Rechteckbau zu interpretieren ist. Im Hochchor deutete ein weiteres Tuffmauerfundament im Schnitt 9 auf eine östliche Fortsetzung dieses Baues hin. Die Mauer fand sich nur 0,14 in unterhalb des heutigen Fußbodens und 0,72 in vor der Südmauer des Chores. Möglicherweise handelt es sich um eine Mauer, die dem Chor dieser frühen Kirche zuzurechnen wäre. Wegen der raschen Einstellung der Grabungstätigkeit konnten zugehörige Laufschichten nicht eindeutig nachgewiesen werden. Lediglich vier quadratische Tonfliesen (092), die stratigraphisch die unterste der bislang freigelegten Tufflagen der älteren Chorstufe überdeckten, könnten zu diesem Bau gehört haben. Darunter aber befanden sich Bodenschichten bis zu einer Mächtigkeit von mindestens 0,6 in, so daß wir mit einer älteren Belegung dieses Platzes rechnen müssen. Aus dem bisher aufgesammelten dürftigen Fundgut läßt sich z. Zt. nichts Näheres zur Datierung sagen. Herausragend ist das Randstück einer Terra-sigillata-Reibschale (Drag. 45), das aus der Rückfüllung der Grabgrube 115 stammt. Eine Deutung dieser römischen Scherbe ist momentan schwierig; eine neuzeitliche Verschleppung ist aber ausgeschlossen!
Jünger als die beschriebenen Tuffsteinfundamente sind der Pfeiler 14, ein Fundament aus Sandstein (155), das eventuell als Altarfundament anzusprechen ist, sowie Reste eines Bodens (076. 090), der auf Fundament 049 Bezug nimmt und den älteren Boden 092 abdeckte. Zahlreiche gebrochene Platten, die einst zu diesem Boden gehört haben müssen, lagen verstreut in mehreren Rückfüllungen und verworfenen Schichten in der gesamten Kirche. Bezeichnenderweise waren viele der Platten, die sich noch in situ befanden, fragmentiert, was eventuell an eine Wiederverwendung bzw. eine Verlegung eines älteren Belags denken läßt. Auch in den Schuttschichten fanden sich mehrere Sandstein- und Tuffsteinbruchstücke, die von abgeschlagenen Diensten und Konsolen stammen dürften.
Im südlichen Seitenschiff wurde ein weiteres, höher liegendes Fußbodenniveau freigelegt (007), das aus kleinen, quadratischen Blaukalksteinplatten bestand. Während der heutige (002) sowie der sich unterhalb des vor dem Jahre 1709 aufgestellten Antoniusaltars befindliche Fußboden (166) aus quergestellten Blaukalksteinplatten verlegt war, lag der ältere Boden parallel zur Achse der Kirche.
Südlich davon wurde in nur 0,2 in Tiefe die Ecke eines Ziegelfundaments freigelegt (006), das sicherlich mit der erst 1818 niedergelegten Außenmauer der gotischen Kirche in Verbindung zu bringen ist.
Eine Südwestecke zeigte sich im Schnitt westlich davon (129/130). Interessant war die Tatsache, daß die Westmauer (129) nicht in der Flucht der Turmpfeiler 6 und 13 lag, sondern leicht nach Westen hin gerückt war. Damit ergibt sich eine Flucht mit der Westseite der Pfeilerverstärkungen, was vielleicht auf eine spätere Entstehungszeit des Turmes hindeutet. Leider konnte diesen Fragen nicht mehr nachgegangen werden.
Weitere Ziegelfundamente kamen in den Ausschachtungslöchern zutage: im Schnitt 7 ein Abschnitt einer Mauer, die wohl als nördliches Pendant zu Mauer 006 B gedeutet werden kann, im Schnitt 8 ein schräg liegendes Fundament, das sich z. Zt. einer Zuordnung zu den bekannten Bauten entzieht; eine schmale Ziegelmauer im Schnitt 9 darf als Südseite einer Gruft gedeutet werden. Ähnliche Ziegel wurden als Fundamentlage des barocken Antoniusaltars verwendet (161. 164. 167), der auch ein massiveres, gemörteltes Fundament überdeckte (165. 171), das eventuell auf einen älteren Altar zurückgeht.
In allen aufgedeckten Bereichen fanden sich Holzsärge mit orientierten Körperbestattungen (Abb. 72).
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Zahlreiche Gräber überdeckten bzw. überschnitten sich. Aus mehreren konnten Sarghenkel, Leder- und Stoffreste geborgen werden. In der Südwestecke der Kirche kam eine mindestens 1,2 m tiefe Knochengrube heraus, die viele aus dem Skelettverband gelöste Knochen enthielt. Diese Knochen könnten hier deponiert worden sein, als im Jahre 1818 die beiden Seitenschiffe angebaut wurden. Dabei waren sicherlich zahlreiche, damals noch außerhalb der Kirche liegende Gräber gestört worden, deren Inhalt hier wieder beigesetzt wurde. Allerdings hatte eine französische Verordnung von 1801 auch Bestattungen innerhalb von Kirchen untersagt und es scheint auch nach dem Abzug der französischen Verwaltung nicht mehr zu Beisetzungen innerhalb der Kirche gekommen zu sein. Daher dürfen wir mit einer früheren Deponierung der Knochen rechnen. Für das Jahr 1648 ist die Errichtung eines Leichenhäuschens, eines einfachen Backsteinbaus mit Walmdach, südlich des Chors erwähnt; es diente der Aufbewahrung der Gebeine, die hier bei neuen Grablegungen disloziert wurden. Bisher konnten wir diese Nachricht noch nicht archäologisch bestätigen. |
Die älteste schriftliche Nachricht zu Lobberich bezieht sich auf die Zeit 986/8, als das Kirchspiel zu Lubbruch' erstmals urkundlich erwähnt wird, als es, nebst Venlo und Tegelen, von der Kölner Diözese an das Bistum Lüttich gegeben wurde. Es war daher ein glücklicher Zufall, daß das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege zum tausendjährigen Jubiläum dieser ersten Erwähnung die erste archäologische Untersuchung der Kirche vornehmen durfte.
Literatur:
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P. CLEMEN, Die Kunstdenkmäler des Kreises Kempen. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 1, 1 (1891) 104 ff.
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K. DOHMS, Lobberich. Geschichte einer niederrheinischen Gemeinde von den Anfängen bis zur Gegenwart (1982).
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K. DORS, Die Urkunden im Archiv der Pfarre St. Sebastianus in Nettetal-Lobberich bis zum Jahre 1600.
Ungedr. Zulassungsarbeit zur 2. kirchlichen Abschlußprüfung (1970). -
A. FAHNE, Geschichte der verschiedenen Geschlechter Bocholtz (1863).
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J. FINKEN, Geschichte der ehemaligen Herrlichkeit Lobberich (1902) 130 ff.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors vom 01. Dezember
2005
Der Bericht stellt eine kurze Version eines Berichtes im
Heimatbuch
des Kreises Viersen dar.