1000 Jahre Lobberich

Geschichte und ihre Geschichten -
ein Leseheft für Schulen und Familien


Aus dem Leben einer Lobbericher Familie

Als Wilhelm Theodor am 26.8. 1812 seinen am Tage geborenen Sohn im Beisein von Patin und Paten auf dem Bürgermeisteramt in Lobberich anmeldete, fragte der Agent nach dem Namen des Kindes. „ Egidius ",sagte der junge Vater mit Nachdruck. „Wollt Ihr ihn nicht lieber Gilles nennen, Bürger Guillaume?" fragte der Beamte und schmunzelte ein wenig dabei, denn er kannte Wilhelm und wußte, was nun folgen würde. „Ne" meinte Wilhelm, „ merk-disch, för disch ben isch noch emer Wölem on de Kleen krit de Nam van Vader." Das Frage- und Antwortspiel ging weiter. Mußten doch der Name der Kindesmutter und die Namen ihrer Eltern wie die des Man­nes genau verbucht werden. Dann ging es weiter mit den Paten, und schließlich wollte der Herr am Schreibpult noch den Beruf des Vaters genannt haben, obwohl er als eingesessener Lobbericher genau wußte, daß man bei Wölem e lecker Dröpke nach getaner Arbeit trinken konnte. „Schriev Wiert on Buer", antwortete Wilhelm. Der Beamte sprach halblaut, indem er schrieb „econome, cultivateur". Als der Schreiber seine anstrengende Arbeit getan hatte, wollte Wilhelm halb fragend, halb behauptend noch wissen: „Dat janze Jedöns he es wahl alles nödisch, domöt Na poleon wet, wivöl Soldate heä in ochtin Joar hät, wat mense, Dreies? "Er wartete die Antwort nicht mehr ab, als wenn er sie schon kännte und verließ die Amtsstube. So war das mit der Anmeldung des neuen französischen Staatsbürgers in der „Ville de Lobberich" im „Canton Wankum ", Arrondissement Crefeld und „Departement Roer" . Zwei Jahre später, als die letzten Truppen des Kaisers Deutschland verließen, war Egidius dann wieder Bürger Preußens. Mit 7 Jahren kam er in die Elmentarschule, die gleich hinter der Alten Kirche lag. Dort war er zusammen mit vielen Kindern in ei nem großen Raum, der, wenn alle (bis zu 200) anwesend waren, doch recht eng war. Nur war das im Winter fast nie der Fall und weil auch in der Erntezeit die Eltern ihre Kinder gern auf dem Feld mitarbeiten ließen, gab es 14tägige Ferien. Egidius hatte keine Schwierigkeiten, die deutsche Sprache lesen und schreiben zu lernen, so daß seine Eltern nicht wenig staunten, als der Zwölfjährige sich an langen Winterabenden der Mutter anbot, ihr beim Spinnen aus dem Lesebuch „Der Kinderfreund" Geschichten, wie „Der Taschenspieler und der Bauer" oder „Von der Erde und ihrer Eintheilung" vorzulesen. Wie staunte da Mutter „Drüke" (Gertrud), wenn sie mit ihrem Sohn zum Wettkampf im Kopfrechnen antrat. Wie oft wurde sie dann zweiter Sieger und mußte zur Strafe ein Gedicht aus ihrer Kinderzeit vortragen. Eines blieb dem Egidius so fest in Erinnerung, daß er es später seinen Nachkommen weitergab:

Das Flachsgedicht

Ersch wor ich jonk on schuen
Du drog ich en blau Kruen.
Dann word ich fett on stif,
Du schlage se mich ene Bonk om et Liv.
Ich word gehuckelt on gepuckelt,
Gehaue on geschlage
On van Here on Dame
No de Kerkhof gedrage.

Alle Mädchen und Jungen hatten zu der Zeit morgens und mittags Unterricht, und zwar sommertags von 8 1/ 2 - 11 1/ 2 und von 13 - 16 Uhr, im Winter von 9 - 12 und 13 - 16 Uhr. Im Unterschied zu heutzutage mußte man fleißig Gedichte, Lieder und vor allem den Katechismus auswendig lernen. Egidius konnte sich sogar recht gut in Niederländisch und etwas in Französisch ausdrücken. Doch war es für den Zwölfjährigen nach 4 Schuljahren klar, daß er seinem Vater, der in­ zwischen fast 50Jahre alt geworden war, auf dem Acker und im Stall zur Hand gehen werde. So wurde auch er Ackerer .

Bevor wir Egidius auf seinem weiteren Le bensweg begleiten, wollen wir einiges über den Ort, seine Bevölkerung, ihre Lebensweise und die allgemeine Situation um 1830 hören:

Im Jahre 1630, mitten im Dreißigjährigen Krieg, aber noch vor der Pest hatte der Kern des Ortes, das Dorf, 44 Wohnhäuser, im Jahre 1833 139 und dazu noch 70 landwirtschaftliche Gebäude. Es lagen also mehrere Bauernhöfe im Ortskern. Insgesamt zählte die Gemeinde im Jahr 1833 559 Wohnhäuser und 3609 Einwohner. Die Ortsteile waren durch Feldwege verbunden, die, wenn sie zerfahren waren, eingeebnet und neu verlegt wurden. Dazu leistete aus jeder Familie 1 Person pflichtgemäß Hand- und Spanndienste. Für 1838 ist die Zahl von 400 Hand- und 415 Spanndiensten im Wert von 289 Talern und 5 Silbergroschen bekannt. (18)

Im Jahre 1833 wurde in den Straßen des Ortskerns Pflaster (Kaie Müte) verlegt. 1838 begann man mit dem Bau der ersten großen Bezirksstraße Lobberich - Süchteln, die aber erst um 1860 fertiggestellt wurde. In einem Geschichtswerk der Zeit heißt es: „Lobberich ist mit breiten, gut gepflasterten Straßen, ansehnlichen Häusern aus Backstein, durchweg zweistöckig, und mit einer großen Kir­ che versehen. Die Häuser bekunden, innen wie außen, Wohlhabenheit. Weniger Erfreuliches schrieb Bürgermeister Kessels im Jahre 1836: „Lobberichs Bevölkerung treibt größtenteils Ackerbau, doch brachte er infolge des niedrigen Fruchtpreises nicht viel ein. „Auch kommt bei dem Flachsspinnen, welches gewöhnlich der Hauptnebenerwerb ist, nichts heraus, da der Leinenhandel nach rückwärts geht." Der Landrat in Kempen be­richtete 1836, daß es in Lobberich eine Baumwollfabrik mit 126 Beschäftigten und 85 Webstühlen gab, die freilich nicht unter einem Dach, sondern in vielen Häusern standen. Man kann daraus folgern, daß viele Leinenweber "umgesattelt hatten", und zwar waren sie „ Samtband- und Kattunweber" geworden und arbeiteten an Webstühlen, die der o.g. Fabrik der Brüder Jakob und Quirin Heythausen gehörten. Und auf so manchem Bauernhof, wo man nebenbei früher Flachs gesponnen hatte, begann man nun, Baumwolle zu spinnen und spulen. Wir wissen aus einem Bericht des Jahres 1843, daß diese Fabrik sogar 11 Kinder zwischen 9 - 16 Jahren beschäftigte, und zwar 9 Stunden täglich. Seit 1839 durften nur noch Kinder zur Fabrikarbeit herangezogen werden, „so weit solches geschehen konnte, ohne die Fabrikinhaber in besondere Verlegenheit zu bringen". Im allgemeinen sollten solche Kinder mindestens 3 Jahre die Schule besucht haben und „die Muttersprache geläufig lesen können und einen Anfang im Schreiben gemacht haben." Den harten Lebensbedingungen entsprach auch der Aufwand für Verpflegung und Kleidung : Kinder trugen Leinenhemd und Hose, Rock und Bluse, Strickjacke, halblange Hose, wollene Strümpfe und Socken, Holzschuhe, Schal, Zipfelmütze oder Kappe. Kleidung des Mannes: im Winter einen dicken Tuchrock (Beus; es gab noch keine Mäntel), Hemd, Hose und Kittel aus Leinen (Kel) zur Arbeit, im Winter ein gestricktes Chemisol (Komisol), Holzschuhe (Botschen), selbstgestrickte Socken (Hose), Stiefel, sonntags Chemisette (Schmiset), Mütze oder Kappe. Kleidung der Frauen: Leinenhemd und Hose, Rock und Bluse, roten Unterrock, Kittel, Schürze (Schockert) und Umschlagtuch.

Eßgewohnheiten der Lobbericher: morgens: Malzkaffee, Hafergrütze, Pfannkuchen (Bogertzkok), Brot, Kraut, Schmalz oder Quark gegen 10 Uhr: Butterbrot (Krutlömel) Mittagessen: Pfannkuchen, Buttermilchsuppe (Prenk), Pellkartoffeln mit Hering, Sauerkraut mit Sehnut, Möhrengemüse (Muhrejuch), Schnibbels- oder Zwiebelkuchen (Lockok), Erbsen oder Bohnen mit Speck, vielerlei Gemüse aus dem Garten. 4 Uhr-Kaffee: Malzkaffee mit Zichorie, Brot, Kraut oder Quark . Abendessen: Bratkartoffeln mit Rüb- oder Leinoel gebacken (Leinoel wurde mit Zwiebeln und Salz abgebrannt), Schnaps oder Bier.

Wo es irgendwie einzurichten war, hielt man ein Schwein und eine Ziege im Stall (die sogenannten „kleinen Leute"). Die Frauen schnitten Futter an den Wegrändern mit der Sichel (Kromm) und trugen es im Tuch auf dem Kopf nach Hause. Wurde ein Schwein geschlachtet, was ein Hausschlächter besorgte (durch Axthieb mit der stumpfen Seite und Stechen), so eilten zum „Schlachtfest" alle Kinder aus der Nachbarschaft herbei, löffelten aus einem Bottich ein Gemisch von Blut, geplatzten Würstchen und Bogertzmehl und erhielten je ein kleines Würstchen (Pip­würschke). Auch Gänse und Hühner fehlten fast nirgendwo. Die kirchlichen Festtage waren auch Tage häuslicher Feiern: Ostern, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt (15. August, Kräuterweihe), Weihnachten. Dazu kamen: Fastnacht, 2 mal Kirmes, z. Teil mit Schützenfest. Kinder erhielten zu Neujahr einen Weck­ oder Zuckerbretzel (Wengel), zu Fastnacht Püfferkes (Oelgebäck), Ostern die Ostereier (Poscheier), zu St. Martin Püfferkes und zu Nikolaus Kloesmänner (Buckmänner).

Zu Weihnachten gab es keine Geschenke. Jugendliche und Erwachsene fanden an den Kirmes- und Fastnachtstagen in manchen Gaststätten Gelegenheit zum Tanz. Die Wirte suchten auch durch Bügelbahnen Gäste an sich zu ziehen. Kartenspiele waren beliebt. Selbstverständlich feierte man auch in den Familien: Geburt, Taufe, Erstkommunion (zeitweise mit 10, dann mit 12 Jahren), Heirat (Priesterweihe).

Zur Beerdigung gab es den Beerdigungskaffee. Die Nachbarschaften übernahmen die Vorbereitung einer Beerdigung (sogenanntes Wischen, wobei ein Nächstnachbar durch Auswischen von Strichen auf einer Schiefertafel anzeigte, daß er gegen geringes Entgelt Botengänge übernahm).

Vor einer Hochzeit, nach der 1. sonntäglichen Mitteilung in der Kirche (3 Wochen vor der Eheschließung), fand im Hause der Braut die sogenannte Letsch statt. Da mußte jedermann mit Getränken bewirtet werden. Tage vor der Hochzeit flochten die unverheirateten Mädchen und Jungen der Nachbarschaft für den Hauseingang zum Festhaus eine Girlande („Kränzer"); natürlich wurden sie danach bewirtet.

Klemp
Lobberichs älteste Glocke (de Klemp) trägt die
Jahreszahl 1397. Sie ruft noch 1988 die Menschen zur Kirche
.

So geschah es auch am ersten Dienstag des Mai 1833, als Egidius seine Maria Mechtilde heimführte. Die Junggesellen vom Dorf zogen die Glockenseile, traten die Balken, damit der Blasebalg der Orgel immer wieder neue Luft erhielt; und als das junge Paar heimkehrte, schossen sie ihre Böller ab, daß es über den Ort hin donnerte. Ein Hebegeld, wie es im voraufgegangenen Jahrhundert von den Jungvermählten noch verlangt worden war, gab es nicht mehr; dafür wurde 14 Tage nach der Hochzeit kräftig gezecht, nachdem der Hausschmuck entfernt worden war.

Längst war der Schabernack verziehen, durch den man dem Brautpaar in der Hochzeitsnacht mitgespielt hatte. Man hatte nämlich die mit frischem Strohgefüllten neuen Leinenbezüge entleert und dafür weniger gemütliches, feines Reisig eingefüllt. Nach gut einem Jahr kam junges Leben ins Haus, denn Maria Mechtilde brachte ihr erstes Kind, einen gesunden Jungen, zur Welt, natürlich erhielt er den Namen seines Paten und Großvaters Wilhelm. Nun kamen täglich die Hebamme und Nachbarsfrauen ins Haus. Die glückliche Großmutter wachte darüber, daß Tücher und Windeln reichlich zur Verfügung standen, und die Hebamme Dobbelmanns Margarete wies die Nachbarinnen an, Klein-Wilhelm fest zu wickeln, damit er einmal ein gradgewachsener Bursche würde.

Zu dieser Zeit hatte Lobberich zwei Ärzte, Dr. Alexander Schieffer und den Wundarzt, Lambert Istas; er war 1815 nach Lobberich gekommen. Ein Krankenhaus erhielten die Lobbericher erst 1884.

Wenn Egidius später, wo sich vieles zum Besseren der Menschen gewandelt hatte, seinen Kindern aus der Vergangenheit erzählte, kam er immer wieder auf die 2 Jahrzehnte von 1850 - 1870 zurück. „Ja Kinder, das war ganz schlimm: 1850, da starb nämlich meine Maria Mechthilde, und ich blieb mit 4 Kindern zurück. Hätte ich damals meine Mutter nicht gehabt, ich weiß nicht, wie ich Acker, Stall und Gastschenke mit den Kindern hätte betreuen können. Doch dann lernte ich Eure Mutter Adelgunde kennen. Wir heirateten, undschon bald nach der Hochzeit taten wir einen wichtigen Schritt: Ihr wißt, daß Mutters Eltern in Geldern ein Geschäft in Haushaltswaren betrieben. Sie überzeugte mich also, daß der Ackerbau vor allem Euch Kindern keine Zukunft bieten könne. So verkauften wir unser Land, ließen uns in der Wohnküche einen Samtwebstuhl aufstellen und mieteten an der Hochstraße ein Geschäft, wo eure Mutter Porzellane, aber auch Haushaltsgeräte verkaufte. Ich lieferte Stücksammet an Felix und Victor de Ball am Hinsbecker Weg (heute Niedieckstraße), die ja wie eure Mutter aus Geldern stammten.

Das waren gute Jahre: damals arbeiteten schon 400 Hausweber in Lobberich und verdienten gutes Geld. Der Ort wuchs von Tag zu Tag, 1850 zählte man noch 2 755 Einwohner, genau 10 Jahre danach 3375, weitere 10 Jahre später war die Zahl 4460. Mit dem Jahr 1850 begannen dann Julius Niedieck, 5 Jahre danach auch Bruder Carl, zusammen mit dem Webmeister Theodor Mommers Aufträge an Heimweber zu vergeben, und um 1865 ließen sie einen kleinen Websaal für 20 Webstühle bauen. Diese Webstühle wurden von einer Lokomobile, einer fahrbaren Dampfkraft-Maschine, ange­ trieben, und diese ganzmechanischen Web­ stühle für Doppe/samt galten als die ersten dieser Art in Europa.

Ludwig und Max hatten ihrem Vater aufmerksam zugehört, doch wußtensie von früheren Erzählungen des Vaters her, daß 1877 nicht nur ein Schicksalsjahr für die miteinan­ der im Wettbewerb stehenden Unternehmen de Ball und Niedieck war, sondern auch für alle daheim arbeitenden Webmeister. Also leitete Ludwig ungeduldig auf den Punkt hin: „Vertel ens Pap, wie war dat ochtinhongertsievenensevenzig?" „Ja dat wor sue ", begann Egidius und fuhr dann, wie es seine Gewohnheit war, wenn er schwierige zusammenhänge darstellen mußte, hochdeutsch fort : „Mit 20 modernen Webstühlen in einem Saal hatten die Niediecks einen wichtigen Schritt getan, dem auch die de Ball folgten. Sie waren nicht mehr in erster Linie Verleger, die Aufträge und Arbeitsmaterial an uns verteilten, son­ dern sie wurden zu Fabrikherren und suchten, möglichst preisgünstig im eigenen Betrieb Ware durch festbeschäftigte Arbeiter herstellen zu lassen. Weber und niederrheinischer Handwebstuhl Zunächst lief für uns noch alles nach Wunsch. So um 1870 arbeiteten allein für Niedieck außerhalb des eigenen Betriebes 1 100 Webstühle in Lobberich und der näheren und weiteren Umgebung, ja bis nach Wegberg und Erkelenz. Wir arbeiteten 12 Stunden täglich, manchmal sogar in die Nacht hinein. So wurden bis zu 1 1/2 m Sammet hergestellt, und das waren mehr als 5 Mark.

Bäcker, Schreiner und sogar die Boten der Herrschaften spulten, spannen oder machten sich ans Weben; Eltern hielten ihre Kinder aus der Schule zu Hause, damit mehr Hände zur Verfügung standen. Sie warteten, bis Polizisten die Kinder aus den Häusern zum Schulunterricht herausholten. Da die Menschen zu Geld kamen, lief auch eurer Mutter Ladengeschäft ganz ausgezeichnet. Da entwickelte Webmeister Peter Anton Tappeser aus Dülken den neuen vollmechanischen Doppelsamtstuhl, den sogenannten Killar. Das war 1877. Die 4 500 Mark, welche die Niediecks dafür zahlten, waren für sie ein Bombengeschäft. Stellt euch vor, damit konnte man in 12 Stunden nicht nur 1 1/2 Meter Sammet weben, sondern gleich 4 1/2 Meter, und das ohne besondere Anstrengung. Schlagartig erweiterten die Niediecks und später auch de Ball ihren Webstuhlbestand und erhöhten die Arbeiterzahl. So wurden Massen produziert, Sammet wurde begehrter Gebrauchsartikel. Anno 1880 hatten uns die Weber am mechanischen Webstuhl im Einkommen schon weit überholt. 900 Mark verdienten sie damals im Jahresdurchschnitt, während ich es in dem Jahr auf 365 Mark brachte. Das wißt ihr ja selbst. Aber weil ich schon 1876eine Ahnung hatte, wasda kommen würde, hab ich dich, Max, damals gleich in die Fabrik geschickt. Ihr wißt aber auch, wie so mancher Kommis (Angestellter) uns schäbig behandelte, wenn wir Ware lieferten. Es hagelte nur so an Geldabzügen für Fehler, waren sie noch so winzig. Oft habe ich selber erlebt, wie man beim Messen der Waremit Hilfe des Daumens den Meterstock verkürzte. Ich stand dabei und wagte nicht, den Mund aufzutun, denn dann wäre ich draußen gewesen. In Oedt hatte ein lndenklef den Mut, dem Kaiser persönlich in einem Brief zu schreiben „Wer die Lohnabzüge, welche in 7 - 8 Jahren in Crefeld, Viersen, Lobberich usw. gemacht wurden, ausgezahlt erhielte, ich glaube, er hätte Millionen. " Was half 's, unsere Zeit war vorüber. Die Niediecks bauten an der Breyeller Straße weiter aus, errichteten einen 2. Betrieb an der Süchtelner Straße, bauten ein eigenes Gaswerk, womit sie dann auch die Haushalte im Ort und die neue Straßenbeleuchtung versorgten. Es tat schon weh, zu sehen, daß das Elend ringsum von Lobberich aus seinen Anfang genommen hatte. Uns ging es, Gott sei Dank, nicht mal so schlecht, weil Mutter verdiente und auch du, Max. Aber in der Nachbarschaft sah es schon anders aus. Da gründete Julius Niedieck einen Unterstützungsfond mit 20 000 Mark Anfangskapital, um den Übergang von der Handweberei in die mechanische zu erleichtern. Das war eine gute Sache. Für Kinder richtete Rektor Pickers eine Suppenküche ein, damit sie wenigstens eine warme Mahlzeit am Tag bekamen.. Ich habe damals meinen Webstuhl an Niedieck für „ einen Appel und ein Ei" verkauft. Das war Anno 82, als ich gerade 70 geworden war. Wie es dann weiterging, wißt ihr besser als ich. 1891 ging die Arbeiterzahl etwas zurück auf 1560, nachdem man im Jahr zuvor noch einem Kunden hatte schreiben müssen: „... wollen wir Ihnen hierdurch nur mitteilen, daß wir mit Orders so stark be­ dacht sind, daß wir uns genötigt sehen, den Verkauf von Samt und Plüsch eine Zeit zu stoppen." Lobberichs Bevölkerung stieg in der genannten Zeit ständig an und erreichte 1885 die Zahl von 6 411, im Jahre 1895 7 543 und 1904 ihren Höhepunkt bis zum ersten Weltkrieg mit 7 931 Einwohnern. 1868 gliederte sich die Gesamtbevölkerung in 3 828 Katholiken, 34 Protestanten und 7 Juden. 1890 waren es : 6 590 Katholiken, 180 Protestanten und 15 Juden.

höhere Knabenschule

Schüler und Lehrer der Höheren Knabenschule 2 Jahre nach der Gründung der Schule vor der Ruine des Kaiserturms der Burg Bocholtz (Foto 1864/65). Stehend von rechts: Maler und Lehrer Jakob Reiners, daneben Rektor Gerhard Pickers. Von den Schülern sind bekannt: vordere Reihe liegend: 2. von rechts: Reinhard Boetzkes (nach ihm wurde die Straße benannt}, halblinks dahintersitzend: ein Sohn des Notars Döhmen.


18) 1 Taler = 3 Mark = 30 Silbergroschen = 360 pfennige. Diese Währung galt nach 1821.


Weiter: Was man über Lobberich in der Zeit von 1850-1914 wissen muß

Übersicht: 1000 Jahre Loberich

Geschichte(n) - auch aus anderen Quellen.