1000 Jahre Lobberich

Geschichte und ihre Geschichten -
ein Leseheft für Schulen und Familien


Großes Unglück kommt über Lobberich (1635-1648)

halb acht

Der Dreißigjährige Krieg, 1618 - 1648, brachte über ganz Deutschland viel Unheil. Es ging anfangs noch um die Frage, welche Religion in Deutschland die Oberhand behalten sollte, am Ende aber tummelten sich Söldnerheere in Mitteleuropa, und Schweden und Franzosen suchten sich vom „ Kuchen" ein gehöriges Stück abzuschneiden.

Pater Nobertus Pricken, gebürtiger Lobbericher, mag 1633, als er Pastor seiner Heimatpfarre wurde, noch gestaunt haben, daß die Kriegsfurie 14 Jahre, nachdem sie über Deutschland gekommen war, Lobberich noch leidlich verschont hatte, hatte doch Vikar Tilmann Kox, auch ein Lobbericher, erst seit 1618 die Lobbericher Schule übernommen, „damit die wilde Jugendt in aller Ehrbarkeit, Zucht und Ehre erzogen werde". So hatten die Schöffen, der Pastor und der Adel festgelegt. Sie hatten von ihm weiter verlangt, daß er „neben der instruction in die meß, vesper und Kinderlehr führen" solle. Auch sollte er auf „die zwyte school" vorbe­ reiten. Nein, es sah nicht nach einer Katastrophe aus, zumal der Bruder des spanischen Königs im Jahr, bevor Pater Norbert Pastor geworden war, mit einem starken Heer das geldrische Gebiet wiederbesetzt hatte.

Taufstein

der 700 Jahre alte Taufstein

Es war ein nasser Januartag im Jahr 1635. Wie es seine Gewohnheit war, hatte Pater Pricken mit dem Küster und Vikar in der Kirche einige Psalmen des kirchlichen Nachtgebetes gesungen und freute sich nun vor dem Kaminfeuer im Wedenhof über seine behagliche Küche. Dabei ging es ihm durch den Kopf, daß der altehrwürdige Taufstein aus dem 13. Jahrhundert im nördlichen Seitenschiff eigentlich in die Ecke gedrückt sei, also einen besseren Platz haben müßte. Gerade wollte er den Band herbeiholen, in dem die Stiftungen, also auch die für den Taufaltar, verzeichnet waren, als jemand heftig gegen das Fenster klopfte. Erschreckt eilte der Pastor durch die Diele zum Tor und sah vor sich den Schöffen Gerrit Dörkes. Und ehe er auch nur eine Frage stellen konnte, stammelte ihm Gerrit entgegen: „ De Pest, de Pest! Jeronymus, de Schottes! " (Hieronymus der Schultheiß) Da war keine Zeit zu verlieren. So eilten Pastor und Schöffe, bald laufend, bald im Eilschritt die gut 5 Minuten Fußweg bis zur Kirche, wobei sie kein Wort sprachen. Beide hingen ihren Gedanken an. So handelte der Pastor auch fast im Halbbewußtsein, als er Öl und Hostie aus der Kirche heraus in die Pepperstraße (Marktstraße) trug. Er eilte durch den Stall, die Küche in die Opkamer, wo er bei flackerndem Kerzenlicht Jeronymus, schwer atmend, vorfand. Norbert schickte Frau Marie und die beiden Söhne aus dem Zimmer. Dann versah er seinen letzten Dienst, nahm die Beichte ab, salbte und reichte die Hostie. Als das vollzogen war, merkte er, wie Jeronymus, vom Fieber geschüttelt, nach Luft rang, ein Zeichen der fast immer tödlichen Lungenpest. Den noch jungen Pastor befiel plötzlich große Angst. Er wußte, daß im vergangenen Jahr in Straelen und Nieukerk die Menschen Haus für Haus gestorben waren. So riß er sich von dem sehr geschätzten Mann los, trug Frau Marie auf, ihren Mann möglichst in seinem Zimmer allein zu lassen und die Kinder zu Verwandten zu geben. Er wollte gleich danach St. Sebastian und St. Antonius um Hilfe anflehen. (12)
In den folgenden Wochen und Monaten starben die Menschen im Dorf, dann in den Honschaften, so daß innerhalb eines halben Jahres 700 mal die Totenglocke geläutet werden mußte. Der Krieg ging weiter: 1636 untersagten die wieder ins Land eingefallenen protestantischen Holländer dem Pastor, zu Ostern eine Messe zu feiern. Damals „pilgerte" die Gemeinde ins Jülicherland nach Breyell. Nach Weihnachten mußte der Pastor Lobberich verlassen. Er lebte 2 Jahre in der Verbannung. Dann finden wir im Kirchenbuch von Pastor Pricken unter 1642: „Aus Furcht vor einem so schrecklichen Brand, wie ihn das Dorf Grefrath hatte erleben müssen, flohen wir im Januar in einer stürmischen Nacht auf Venlo zu. Wenige blieben in der Kirche und auf der Burg Bocholtz..." Die Hessen rückten aber nicht auf Lobberich vor, so daß die Flüchtlinge zurückkehrten. Dann waren Feinde völlig überraschend in Lobberich: „Dienstag nach Pfingsten drangen die Feinde in die Kirche, welche bis dahin tapfer verteidigt war, und plünderten sie vollständig. Der Pastor und die Leute flüchteten in den Turm und auf das Gewölbe.
Antoniusaltar Alte Kirche
Alte Kirche, Hauptaltar links: St. Sebastian,
Seitenaltar links: St. Antonius.

Der Pastor floh zu der Burg Krickenbeck, dort blieb er sechs Wochen; dann kehrte er zu den Seinigen zu rück und blieb Tag und Nacht in der Kirche oder in der Nähe derselben." Weitere Einzelheiten über das Verhalten dieser Hessen in Lobberich erfahren wir nicht. Offensichtlich schreckten sie davor zurück, in der Kirche ein Gemetzel durchzuführen. Die Kirche war also in der größten Not neben der  Link Burg Bocholtz und den Schanzen eine einigermaßen sichere Zufluchtsstätte.

1648 kam es zum Wikilink Westfälischen Frieden. Für unseren Niederrhein blieb die Lage durch immer wieder durchziehende Truppen unruhig. Aber trotz oft erpreßter Abgaben war doch das Schlimmste vorüber. Jedenfalls geht aus einer Beschwerdeschrift der Schöffen des Amtes Krickenbeck hervor, daß junge Leute zum „Schandael van de gantsche wereld, vastelavends spelen mit dansen, springen end diegeliyke der telhelden voor te stellen, als of dese landschappe was in volle overvloedichheyt". (13)


12) Sebastianus, Antonius, Rochus galten als Schutzheilige gegen die Pest; 1719 ließ der Knecht Melchers aus dem Sassenfeld die  Link Rochuskapelle „herrichten und erweitern" (Josef Budde). Schultheiß Hieronymus Horst, der auch Schultheiß des Gerichtes beim Amtmann in Krickenbeck war, starb mit seinem Sohn an der Pest.
Norbert Pricken, Lobbericher,  Link Pfarrer in seiner Heimatgemeinde 1633 - 1669. Er hinterließ 2 Kirchenbücher.

13) Die jungen Leute führen fort „zur Schande der ganzen Welt Fastnachtsspiele mit Tanzen, Springen und dergleichen Tollheiten vorzustellen, als ob diese Landschaft in großem Überfluß lebte."


Weiter: Brauchtum und seine Grenzen, ein Beispiel aus dem Jahr 1714

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Geschichte(n) - auch aus anderen Quellen.