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Donnerstag, 10. Juli 2008
Donnerstag, 17. Juli 2008


Der „Sieger" - eine wahre Kriegsgeschichte


Entsetzen über Bilder aus Auschwitz / Karl kehrte als letzter heim

Von Günter Nonninger

Diese wahre Geschichte begab sich im Sommer des Jahres 1945 im Lager der deutschen Kapitulationsarmee in und nahes Rimini in Italien. Die deutsche Italien-Armee hatte bereits am 2. Mai 1945 kapituliert und war nach und nach im Raum Rimini iri Lagern untergebracht worden, und, ebenfalls nach und nach, hatten wir mit unseren Bewachern, den „Ammys" von der 30. Inf. Division aus Detroit und den „Tommys" von den North Irish Horse 20. Tank Brigade Kontakt bekommen. Aufgrund meiner glänzenden Englisch-Kenntnisse von garantiert 50 Worten dieser Sprache als Reste meines ruhmreichen Untertertia-Abiturs an der Höheren Knaben- und Mädchen-Schule zu Lobberich und zusätzlich aus der „5.the Army News", die uns liebenswürdiger Weise von den „Ammys" frei Haus in die Stellung im Apenin vor unsere Bunker geschossen wurde, war ich bei den Amerikanern zum „Interpreter" avanciert.

Ich sprach kurze Zeit später, da ich Sprachen vom Hören her leicht lerne, ein perfektes Pidgin-Englisch, bestehend aus Teilen dieser Sprache, gemischt mit Italienisch und sämtlichen Dialekten, vom Londoner Hafen bis zu den Banden in Detroit. Da wir im Südtirol unfreiwillig in ein verlassenes Lager und Tunnel mit alkoholischen köstlichen Getränken geraten waren, machten wir ein geselliges „Krieg austrinken" und konnten gleich am zweiten Tag die Ammys bewirten.

Mehrere Stunden später wusste keiner mehr, warum wir eigentlich Krieg gegeneinander geführt hatten! Aber die Idylle dauerte nur kurz. Wir wurden von den Amerikanern an die Engländer übergeben und nach Rimini gebracht. Wir waren die Kapitulations-Armee und wurden sehr korrekt behandelt und versorgt. Die alte Disziplin blieb erhalten und die Wehrmachtseinheiten klappten noch. Ich behielt meinen „Interpreter"-Posten - noch war unsere alte Kompanie zusammen. Von unseren 120 Mann im Oktober 1944 waren noch stolze 24 „Männekes" da. Eine Reihe von uns hatte Glück gehabt und war in Ami-Gefangenschaft geraten und gleich nach Amerika gebracht worden. Aber die Einheiten wurden aufgelöst. Mit Tränen in den Augen kommandierte unser Spieß, der so lange für „seine Jungs" gesorgt hatte: „Zum letzten Mal, still gestanden, nach vorne weggetreten!"

Mit Schlucken, Tränen und Würgen und stummen Gesten nahmen wir, die so lange zusammen durch dick und dünn gegangen waren, voneinander Abschied. Nur Zwei habe ich wiedergesehen: Ich kam zur Gruppe des Stammpersonals der Lagerdienste und damit begann das letzte Kapitel: Das Heideröschen!

Zu Dreien waren wir auch als Kurierfahrer eingeteilt und hatten als Dienstfahrzeug eine mächtige „Zündapp-Sahara", Tropenausführung, 4-Zylindermaschine mit Seitenwagenantrieb. In dem Lager residierte als letzter Kommandeur der Armee Oberst Brehe (Wesel), den wir ebenfalls fahren mussten.

Nach wenigen Tagen merkte ich, dass das Auge des hohen Herrn mich wohlgefällig beobachtete. Eines Morgens, nach dem Tages-Briefing mit den Tommys, kam er auf einmal auf mich zu: „Sagen Sie mal, sind Sie vielleicht aus Lobberich?" Ich zackig: „Jawohl, Herr Oberst!" „Kennen Sie Karl Haumer?" „Jawohl, Herr Oberst, den vom Heideröschen?" „Jawohl, den! Sie melden sich um 5 Uhr bei mir in der Stabsbaracke!"

Ich machte mich fein und marschierte los Richtung Stab. Und welche Überraschung, da stand ein Empfangs-Komitee aus Lobberichern: Alexander Katzer als Spieß, Karichen Haumer, Ernst Lücker und einige andere aus der näheren Umgebung. Ein großes Hallo: „Jünter, wo kommst Du denn auf einmal her?" Und der hohe Colonello erzählte, wo er mich aufgegabelt hatte.

Ein Erzählen hub an und die Frage: „Hast du was von zu Hause gehört?" - Ich so wenig wie die anderen. Ich besaß ein Bild aus einer amerikanischen Illustrierten mit einer Modepuppe von Fierley und Blick auf die obere Hochstraße, auf dem nichts Beschädigtes zu sehen war.

Dann erzählten wir, wann, wo, wer was ‚erlebt hatte. Auf einmal die Frage von Karl Haumer: „Jünter, du kannst doch Schnaps machen?" „Ja, aber woraus?" „Wart ab!" Dann sprach Karlchen: „Jünter, hier hab ich noch ein paar Liter reinen Alkohol. Davon kriegst Du jetzt jeden Tag dreiviertel Liter, damit wir abends was zu trinken haben." „Okay, mach ich!", und machte dann "Äffe Jries" aus geröstetem Mais, Mocca-Likör aus Nescafe und Orangen-Likör aus englischer Marmelade. Und so kam es, dass mitten unter 10.000 Soldaten wir zwölf „Männekes" in einem trockenen Abzugsgraben neben unserer Stabs-Innen-Baracke saßen, in der unser „Marchallo" Alex Katzer residierte und unsere Sehnsucht 'nix wie nach Lobberich' mit den Heimat- und Karnevalsliedern besungen haben.

Mit Lobberichs Nationalhymne bis heute: „Ich zog einst als Weber vom Niederrhein", „Wat roppele, wat roppele os die Grosches in die Täsch", „Kenger dat wörd noageholt, wenn de Krahn wär richtisch löpp", „Wör make wie wa Wenk, wo soll'n die Dölker Mühle blieve, wört se net von us gedrieve", „Ich moet to Foot op Heem an jonn" und einige andere, die zwar uralt aber nicht veröffentlichungsfähig sind!

Alexander Katzer, unser Spieß, jetzt „Marchallo" genannt, verwaltete die Kartei der Soldaten. Karichen und Ernst Lücker sorgten für uns und versorgten uns. Dazu kamen noch einige Offiziere in besonderer Funktion. Alle anderen pflegten, unser Stabsquartier. Alex Katzer leitete später zu Hause die Stadtkasse von Lobberich bzw. Nettetal, aber zeitlebens blieb er für uns der „Marchallo".

Karichen hütete die Vorräte. Weiß der Teufel, wo er die „organisiert" hatte. Ich blieb bei der Courier-Staffel und konnte so im Raum Rimini.manches erleben und machte die täglichen Fahrten zu den „Tommys". Eines Abends hatte ich gerade meine Courier-Tasche bei Alex abgegeben, die er sofort durchsah. Nach einer Weile kam er und verkündete: „Hört mal her! Die Osterreicher gehören ab sofort nicht mehr zur Wehrmacht. Die kommen sofort nach Hause und in ein anderes Lager, da sie jetzt zu den Alliierten gehören, also zu den „Siegern". Worauf ein großes Gemaule anfing: „Wieso sind D I E jetzt bei den Siegern?". Denn wir hatten so unsere eigenen Erfahrungen mit „Kraxelhuber" und „Kamerad Schnürschuh".

Nach eine Weile kam Karl Haumer: „Alex, stimmt dat, wat du jrad vertällt has?" „Warum? Hier steht einwandfrei: Alle Österreicher scheiden sofort aus der Wehrmacht aus und sind wieder österreichische Staatsangehörige und sind Alliierte. Sie werden ab morgen in ein besonderes Lager gebracht und werden nach Hause transportiert." - Stille - Dann stand Karl langsam auf und erklärte: „Ich bin bei „die Sieger" und komme sofort nach Hause." Wir: „Wat bös du? Du bei die Sieger? Du bist doch Lobbericher, genau wie wir alle!" „Nä Jonges, ich bin Österreicher. Ich bin ab sofort bei „die Sieger" und komm nach Haus. Hier ist mein Pass!" Er zog seine Brieftasche heraus und holte aus der unteren Tasche seinen österreichischen Pass. Er war der Sohn einer seit langen Jahren in Lobberich lebenden österreichischen Familie. Karl war ob seiner sympathischen Art einer der Stars der berühmten Karnevalsgesellschaft „Heideröschen", die heute sanft entschlummert ist - schade, schade. Sofort hieß es: „Karl, du musst Post mitnehmen, damit man sich keine Sorgen macht." Gesagt, getan - denkste! Wir hatten kein Schreibpapier. Also mussten Pappendeckel herhalten.

Karichen übertrug seine sorgsam gehüteten Vorräte an Alex Katzer. Mich nahm er mit in das Zelt, in dem er schlief und räumte sein Bett vom Boden. Nach drei Lagen Verpackungskarton räumte er noch einige Bretter beseite und da standen zwei Essens-Kanister, sein größter Schatz - 30 Liter reiner Alkohol. Er übergab sie mir, sie blieben jedoch in dem Loch. „Jünter, davon darfst du pro Tag nur 3/4 Liter nehmen, oder wenn der Oberst etwas braucht. Gehe vorsichtig damit um. Alle andere Verpflegung lasse ich hier, ich krieg ja dann ab morgen Ami-Rations (amerikanische Rationen). Fröhlich verabschiedeten wir ihn am Lagertor: „Also Karl, grüß alle zu Hause und sag, dass wir gesund und munter sind." Karl kam zu seinen „Siegern" ins Austria-Lager.

(2. Teil, 17. Juli)

Zwei Tage später erhielt ich den Auftrag, sofort zum Austria-Lager zu fahren. Ein Karl Haumer würde mich dort erwarten. Da wir mit dem Krad fast volle Bewegungsfreiheit hatten,- fuhren wir sofort los und sahen schon von weitem Karichen am Lagertor stehen. Er kam auf mich zugestürmt: „Jünter, hast du was zu essen dabei? Ich hab so ne Hunger." „Du Hunger? Du bist doch jetzt bei „die Sieger". Du bekommst doch jetzt „Ami-Verpflegung"!

„Ach was", antwortete Karichen, „Wir haben hier fast nix. Uns jeht et viel, viel schlechter als euch!" Wir beschafften ihm das Nötigste, versorgten ihn, umringt von vielen „Kraxelhubern", die sich verwundert die Augen rieben, ob dessen, was sie sahen. Einige Tage später war Karichen weg - auf dem dem Weg nach Österreich.

Im Lager hatte man ein Front-Kino reaktiviert, in dem zahllose deutsche Filme mit Marikka Röck, Johannes Hesters und Hans Albers („Münchhausen") liefen und tausende Landser sahen zu, aber auch immer mehr Tommys kamen, die von den Filmen begeistert waren.

Eines Nachmittags bemerkte ich, dass die Engländer überall Panzer-Fahrzeuge an dem Lager auffuhren und dachte: „Nanu, was wird denn jetzt gespielt?".

Bei Beginn der Dunkelheit bauten sie große Leinwände am Stacheldraht auf und forderten per Megaphon die Landser auf, vor diesen Schirmen zu erscheinen. Dann plötzlich flammten die Bilder von Buchenwald und Auschwitz auf.  Grauen und Entsetzen. „Das sollen wir deutschen Soldaten gemacht haben?" Wir erkannten sofort die SS, mit der wir auf Kriegsfuß standen, nach der Zerstörung von Marzabotto, einem friedlichen Dorf. Entsetzen bis tief in die Nacht. Aufgeregte Gespräche. Ein Entsetzen, das bei mir bis heute anhält. Von den Engländern erfuhren wir, dass man die Panzer auffahren ließ, da man Unruhen befürchtete.

Aber es blieb ruhig. Das Entsetzen drückte wie eine schwere Last. Wenige Tage später mussten wir Oberst Brehe plötzlich in ein Lager fahren, in dem sich 2.000 bis 3.000 Kosaken der I. Kosaken-Division befanden, die auf deutscher Seite gekämpft hatten.

Sie waren in einem großen Viereck angetreten. In der Mitte standen sowjetrussische Offiziere, die eine Ansprache hielten. Der Ätmann (Fürst) der Kosaken berichtete uns, dass man den Soldaten bei Heimkehr großzügige Vergebung von Väterchen Josef Stalin versprochen habe.

„Aber das glauben die doch selbst nicht, mich und viele andere kriegen die nicht", so der Offizier. In der Nacht begingen viele Selbstmord. Die anderen wurden von der englischen Kolonialtruppe - nepalesische Gurkhas und vietnamesische Annamiten - abtransportiert. Diese kamen wenige Tage später verstört und entsetzt zurück und berichteten, dass sie die Kosaken nach Istrien in den Kaarst bringen mussten, wo sie von den Russen von den Trucks (LKW) in die Schluchten gejagt und sofort alle erschossen wurden.

Es wurde August, September, und die Heimtransporte begannen. Die Ältesten zuerst. Von uns machte sich gesund und munter Ernst Lücker von der Breyeller Straße auf den langen Weg in die Heimat. Er kam aber nur bis Bad Aibling.

Dort wurde der Transport von den Amerikanern einfach nach Nordfrankreich umgeleitet. Die Heimkehrer wurden dort in die fürchterlichen nordfranzösischen Bergwerke gesteckt. Erst elf Jahre später kam er schwer Lungenkrank (Staublunge) in Lobberich an.

Ich selbst kam als Jüngster und dau' it Letzter an einem strahlenden Oktobertag im Jahr 1945 nach Lobberich zurück. Die anderen hatten schon längst über mich berichtet, insbesondere über meine Interpeter-Tätigkeit und ungläubiges Lachen ausgelöst. Der kann doch gar kein Englisch!

Doch ich konnte. Während des Krieges hatte ich schon gemerkt, dass ich Sprachen leicht über das Gehör lernte. Man lernt eben nie aus, bis heute. Aber einer fehlte noch. Unser „Sieger" Karl. Es wurde Weihnachten und immer noch keine Nachricht; dann Januar /Februar - endlich.

Er saß in einem Lager in Österreich und bekam keine Ausreise nach Hause, nach Lobberich. Zu Ostern erschien „unser Karl", glücklich aber stinksauer auf seine Landsleute, die ihn so lange festgehalten hatten.

Und unsere „Postkarten"? Die hatte man sofort verbrannt.Fröhlich begrüßten wir ihn mit einem zünftigen „Knolly-Brandy-Abend". So hieß unser damals mit viel Liebe gebrannter . Schnaps aus Kartoffeln. Wenn auch bei manchem dabei die Waschküche oder der Schuppen explodierte und jemand mit der Destillationsschlange stiften gehen musste, ehe der Zoll kam.

Der „Knolly" hat uns lange Jahre begleitet, denn Original-Schnaps und gutes Bier gab es erst vier Jahre später.

Karl's Schlusskommentar: „Ach wär ich doch kein Sieger geworden und oben bei euch geblieben." Mit einem (oder mehreren) „Prost Rimini" haben wir uns ein Leben lang gegrüßt und uns dankbar an unsere Überlebenskünste erinnert.


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