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Donnerstag, 05. Oktober 2006
Donnerstag, 12. Oktober 2006


Der letzte Schultag oder:

"Am deutschen Wesen muss die Welt genesen"


Ort der Handlung: Schäfer-Voss-Schule, Krefeld, Moltke-Straße / Das Leben veränderte sich

von Günther Nonninger

Ich gebe vorab gerne zu, nie iner der guten und braven Schüler gewesen zu sein. Meine Leistungen, na ja - nicht gerade zur Freude der amaligen Pauker! Wir lebten ja in Lobberich, für einen preußischen Krefelder damit "am Rande des tiefen Grabens zu unserem Erbfeind" (siehe Krefelder Literatur). Meine Eltern besaßen eine Drogerie und Landhandlung ir Futtermittel, Import und Fachsamenhandlung mit großem Außenbezirk. Mein Vater war Reserveoffizier des ersten Veltkrieges, selbstverständch mit Eisernem Kreuz (EK) I das ihm seine Majestät, der Kaiser, für seine Leistung in er ersten Panzerschlacht bei Cambrai zu verleihen geruht hatte: Meine Mutter war eine chte Bauern- und Bürgerstochter, also eine echte "Geborene", wie man damals zu sagen pflegte. Lustig und fröhlich, aber unerbittlich katholisch! Ohne jeden Erfolg ersuchte sie mich ebenso zu erziehen: "Hast du schon gebetet?" - "Auf die Knie, das Nachtgebet" - "Warst du auch pünktlich in der Kirche?" - "Wer hat gepredigt?" - "Warst u beichten?" - und, und, und ...

Meine Eltern waren zwar deutsch-national, aber spinnefeind zu den Nazis. Sie kannten sie alle, die großen und kleinen Parteigenossen, die "Goldfasanen", wie man sie nannte. Sie trafen sich imter morgens bei "Krings", später "Straeten" am runden Tisch, wo unentwegt auf den Führer mit "Sieg Heil" angestoßen wurde. Nach diversen Runden traten dann bei einigen Magenbeschwerden auf und es wurde telefonisch bei uns Bullrich-Salz oder Tabletten gegen eben diese Beschwerden bestellt. Ich übernahm den Transport und beim dann jedes Mal ein ordentliches Trinkgeld. Mein erstes selbst verdientes Nazigeld. Was soll's! "Pekunia non olet" oder "Geld stinkt nicht."

Wir importierten Futtermittel ab dem Venloer Hafen und es gab für mich von Kind an kein größeres Vergnügen, als mit unserem Lkw dorthin zu fahren und im Hafen auf einem der Frachtschiffe herum zu klettern, wo dann bei den "Particulien" immer etwas zünftig Holländisches abfiel. Unser Handels- und Besuchs-verkehr privat oder mit Firmen in und um Venlo war für mich etwas selbstverständliches. Für einen preußischen Krefelder jedoch war es etwas Verachtenswertes, wie sich später herausstellen sollte.

Das Leben änderte sich

Die Schuljahre 1928 bis 1936 in Lobberich sind mir auch heute noch in froher Erinnerung. Einige Querelen gab es immer, denn wir waren wahrhaftig keine Engel. Unsere Lehrer haben uns nie, ich betone ausdrücklich nie, mit "Nazi-Quatsch" belästigt.

In dieser Zeit änderte sich das Leben in Deutschland radikal. Hitler kam, Jungvolk und Hitler Jugend kamen auf. Wir machten im Jungvolk mit, eine deutsch-nationale Mischung aus Pfadfindern und Caritas (ich betone, das waren meine Erlebnisse.)

Einer der Hauptgründe mitzumachen war jedoch, dadurch mit ins Zeltlager auf der Hinstecker Heide am Landschulheim zu kommen.. Geländespiele; Schwimmen in Nette und Renne, Aalreusen entleeren und abends am Lagerfeuer Fisch braten, Pudding kochen in rauhen Mengen, der immer etwas angebrannt war, aber restlos vertilgt wurde. Aber das Wichtigste war, endlich mal von zu Hause weg zu kommen, um den mütterlichen Kontrollen zu entgehen.

Ja, wir waren im Jungvolk, was uns aber nicht hinderte, Messdiener bei der Schulmesse in der Alten Kirche zu sein und Schülermützen zu tragen, bis diese dann von den Nazis verboten wurden. Das Jungvolk etc. wurde geleitet von unserem Bahnspediteur für Express- und Stückgut, WiIly Feikes, der immer pingelig korrekt gekleidet mit der Lederschürze, der Bahnvorschrift nach, mit Pferd und Wagen seine Güter zustellte. Die sogenannten Heimatabende wurden in der alten Fabrik am Breyeller See abgehalten, wo er dann vom ersten Weltkrieg erzählte. Und das klang dann so: "Und da lage wyr dann vor Verdöng (Verdun), un hinger os sting die größte Kanonn der Welt, 'die dicke Berta von Krupp, und wo die hinschoett, da wachset kin Jras mier. Dat Geschoss kannst du Siehn, und ine Krach, als op tien Zöch op ens in de Krevelsse Bahnhof führe." Auf dem Rückweg sangen wir dann das Pionierlied "Argonner Wald um Mitternacht."

Aber es waren auch wirtschaftlich sehr harte Zeiten. So jung wir alle waren, alle mussten überall mit anfassen. Ich hatte mich im Alter von neun/zehn Jahren auf das Abfüllen von Wein-Spirituosen spezialisiert und habe so viele Flaschen gefüllt. Beim Abfüllen von Apfelwein bin ich dann auch einmal selig-blau inmitten meiner Flaschen "entschlummert", um es höflich auszudrücken.

Im Winter, so um die Weihnachtszeit, wurden Winter-Hilfs-Abzeichen verkauft und jeder hatte den Ehrgeiz, Bester zu sein. Für dieses Geld wurden dann vor Weihnachten große Mengen Lebensmittel eingekauft, die wir dann mit Bollerwagen (Autos gab es noch nicht) zu den Familien brachten. Teilweise die erste Hilfe nach langen bitteren Jahren der Not, des Hungers und der Armut. So ging dann die Lobbericher Schulzeit auch auf der höheren Knaben- und Mädchenschule zu Ende. Mit einer strengen Prüfung durch den Direktor des Thomaeums in Kempen wurden wir ob unserer Tauglichkeit sortiert. Ich wurde für das Neusprachliche Gymnasium einsortiert und an der Schäfer-Voss-Schule (Realgymnasium) in Krefeld angemeldet.

Herrliche Wanderung

In meiner Erinnerung bleibt eine herrliche Marsch-Wanderung mit rund 25 anderen Kameraden aus dem Kreis Kempen als Abschluss jener Zeit. Unter Leitung des Fliegerleutnants Jupp Lenz marsch-wanderten wir entlang der deutschen alten Front von Berchtesgaden nach Oberstdorf. Entlang des Karwendelgebirges wanderten wir nach Garmisch-Partenkirchen. In eiskalten Gebirgsflüssen waschen oder sich treiben lassen, in Bergseen schwimmen, in den Flüssen Isar, Lech und Inn baden und Zeltlager auf Almen aufschlagen, klatschnass werden durch Dauerregen, den unbekannten bayerischen Kümmel aus dem Brot holen, kochen, brutzeln, Fahrtenlieder singen, aber auch die Standard-HJ-Jungvolklieder. Die herrlichen Schlösser und Kirchen Bayerns bestaunen ob ihrer hier bei uns unbekannten Pracht. Blasen an den Füßen, kleinere Strecken mit dem Bus zum Starnberger- und zum Chiemsee zurück legen, alles gehörte dazu. Unvergessen bis heute - und wir waren erst 15/16 Jahre alt. Ausgelassen tobten wir am letzten Tag im Kurpark von Oberstdorf, als plötzlich eine Donnerstimme uns ob unserer rheinischen Art zur Ordnung rief. Es war Adele Sandrock, die große alte Dame des deutschen Films.

Zurück von dieser Tour fanden wir eine völlig veränderte Jugendzeit vor. Politisch geschulte Jugendführer brüllten Parolen wie "Heil, Heil, usw.". Mit denen wollten wir; nichts zu tun haben. Wir setzten uns ab in Richtung Breyeller See (bei Ludwigs), denn unser Freundeskreis bestand nur aus Wasserratten. Auf die Hitlerjugend pfiffen wird schon von zu Hause aus. Wir zogen weiter ins Bootshaus Schrievers, wo wir aber schon nach kurzer Zeit mit unserem gebrauchten Boot an die Luft gesetzt wurden. Es wurde für die Panzeraufklärung Abt. ZV7 Krefeld requiriert.

Wir zogen weiter in die Scheune von "Elbers Soup". Von Elbers Garten führte ein Graben zum Wittsee, der aber bald unbefahrbar wurde. Weiter ging es zum Wittsee, wo Schmitter gerade das Bootshaus errichtete. Aber dieses Bootshaus und die Paddler hatten es in sich. Hier war bereits ein Sammelbecken von Anti-Nazi-Jugendlichen entstanden - Jugendliche, Schüler, Lehrlinge, Studenten, Berufstätige aus Lobberich; Breyell, Kaldenkirchen, Grefrath, Oedt, Kempen, St. Hubert, Hüls, Viersen, Süchteln und Dülken. Drastisch wurden wir mit der Spielregel Nummer eins bekannt gemacht: Wer mit Nazireden, Abzeichen, Uniformen oder sonstigem ankam, flog ins Wasser und, hatte sofort zu verschwinden.

Wir fanden neue Freunde in einem alten verwitterten Wochenendhaus, das man "das versunkene Schloss" nannte. Eine fröhliche Zeit begann, jedoch manchmal verfolgt vom "Hitler-Jugend-Streifen-Dienst" mit großer Klappe. Dazu kam der Hunger, bei Wackertapp-Oma mit köstlich eingelegtem Aal gestillt wurde - und ewiger Geldmangel.

Das sehr kleine Sonntagsgeld wurde für das Bootshaüs gebraucht. Da „das Etwas haben wollen” aber sehr groß war, beschlossen wir, Geld zu verdienen und nahmen unseren "Schmuggel-Trick mit dem Rad nach Steyl" wieder auf. Unsere Touren wurden offiziell gar nicht gerne gesehen und den Schulen gemeldet. In Lobberich wurden wir für unsere Fahrten, angeblich ins Kloster Steyl, von Rektor und Kaplan Hüging sehr gelobt und wir wurden angehalten, Grüße auszurichten. Was auch prompt geschah. Wenn der gewusst hätte, dass es Schmuggel-Einkaufstouren waren.

Wir benutzten stets den Übergang Tegelen, weil es da lascher zuging als am Schwanenhaus, wo wir von den sogenannten „Zollschülern” gefilzt wurden. Wir importierten englische Players-Zigaretten und bayerische Briefmarken, die im Missionsmuseum 25 Pfennig für 50 Stück kosteten. Viele wollten mit dem speziellen Duft englischer Zigaretten angeben bzw. ihrer Weltoffenheit Ausdruck verleihen und daraus entwickelte sich ein gut gehender Handel mit Stammkundschaft.

Die Zollbeamten am Heidenend schrieben weiterhin jede Fahrt auf und teilten diese nach einiger Zeit gesammelt meiner neuen Schule mit. Es war die vornehme Preussisch-Berlin treue Schäfer-Voss-Schule am Moltke-Platz in Krefeld.

Wie es der Zufall wollte, kam ich in die Obertertia 3b und auf den einzig freien Platz neben einem jüdischen Jungen. Wir sahen uns an und erkannten uns. Es war Helmut Sanders von der Hochstraße, dessen Vater rechtzeitig erkannt hatte, was sich bei den Nazis zusammen braute und sein Bekleidungsgeschäft an Julius Nelissen verkaufte.
Die Sanders waren eine angesehene Familie, die es vielen Familien erlaubte, bei Beerdigungen oder Kinderkommunionen in kleinsten Raten zu zahlen. Nach der Machtübernahme glaubten jedoch viele: „An Juden zahlt man nicht mehr, die sind doch schuld.”

- Der Platz war frei, da Krefelder Eltern es als Zumutung betrachteten, dass ihr Kind neben einem jüdischen Schüler sitzen solle. So bekam ich Gott sei Dank diesen Platz, denn für mich „Superschüler” war seine Kameradschaft eine wirkliche Hilfe. Ein Geraune ging durch die Klasse ob unserer fröhlichen Begrüßung. Wir verstanden uns gut. Er war ein Superschüler, der viele blöde Bemerkungen einstecken musste. Er super, ich nicht, und er half mir.

Aber nach den Herbstferien kam er nicht mehr. Der Familie Sanders war es geglückt, via Grüne Grenze nach Holland zu fliehen und - Gott sei Dank - die USA zu erreichen. Ich blieb in der vornehmen Schule, wo die Herren Lehrer schon mal in Offiziersuniformen (man war ja gerade von der Übung gekommen und befördert worden und nahm mit „gehorsamstem Dank” die Gratulation zu eben dieser entgegen) oder gar auch in der Uniform, des SS-Reiter-Korps erschienen.

Mitte Sommer 1937 erschien plötzlich der Hausmeister der Schule in der Klasse: „Der Schüler Günter Nonninger sofort zum Herrn Direktor.” Lehrer und Schüler erstarrten. Wortlos wurde ich in das Arbeitszimmer des Direktors geführt und meldete: „Hier ist der Schüler Günter Nonninger.” Verunsichert betrat ich das riesige Direktionszimmer, wo der hohe Herr (mit Vatermörder-Stehkragen) mich mit je drei Fingern einer Hand auf die Platte eines großen Schreibtisches gestützt, empfing. „Hierher Knabe!” und deutete auf einen Punkt eben vor diesem Tisch. Dann legte er mit schneidender Stimme los: „Knabe Günter Nonninger, ist dir unser deutsches Vaterland nicht mehr gut genug? Was suchst du im Auslande? Sprich, Knabe!”

Ich dachte:' „Knabe ... was ist los? Wat will dä?” Venlo, Tegelen, Steyl - waren doch nichts besonderes für mich, sondern seit frühester Jugend selbstverständlich: „Sprich Knabe, was sucht Du dort? Ist Dir unser deutsches Vaterland mehr gut genug? Da hast du nichts zu suchen.”

Brabbel, brabbel, der spinnt doch", dachte ich und sagte nichts., Dann legte er los: „Wie mir unsere braven Zollbeamten vom Zollamt Kaldenkirchen-Heidenend, mitteilten, fährst Du laufend mit Freunden ins Ausland.

Wohin?” Ich: „Ins Kloster Steyl an die Maas, nach Tegelen und Venlo!” Das muss wohl seine supernational preussische Krefelder Seele zutiefst getroffen haben: Er lief zornesrot an und brüllte nun erst recht: „Da hast Du nichts zu suchen. Merke Knabe Günter Nonninger. "Am deutschen Wesen muss die Welt genesen!” *
Daraufhin ich: „Bitte, Herr Direktor, das deutsche Wesen, was ist das?” Zornesrot rang er nach Luft! „An meinem stolzen deutschen Gymnasium wagt es ein deutscher Knabe zu fragen "Das deutsche Wesen, was ist das"? Haben dich das deine Eltern nicht gelehrt?”

Jetzt hielt er sich krebsrot an seinem Schreibtisch fest: „An meiner stolzen deutschen Schuler, die seiner Majestät dem Kaiser zwei "Pour le rnerit"-Orden (für die Tapferkeit) geschenkt hat, viele Helden hatte und Offiziere und Soldaten vorweist, wagt es ein deutscher Knabe, mir zu antworten `Das deutsche Wesen, was ist das?'. Damit du es lernst, schreibst du mir: bis morgen in Schönschrift, mit Unterschrift deiner Eltern, 100 Mal „Am deutschen Wesen muss die Welt genesen”.

Ich: „Nein.” Er: „Du wagst es mir mit einem `Nein' zu antworten, meine väterliche Mahnung mit einem `Nein' auszuschlagen? Ich fordere dich nochmals auf, bis morgen in Schönschrift und mit Unterschrift der Eltern 100 Mal zu schreiben `Am deutschen Wesen muss die Welt genesen'.” Ich: „Nein, das tue ich nicht.” „Ich fordere dich nochmals auf, bis morgen 100 Mal zu schreiben "Am deutschen Wesen muss die Welt genesen.” Ich: „Nein, mache ich nicht.” Er: „Hinaus Knabe. Hinaus aus diesem meinem stolzen deutschen Gymnasium! Verlasse sofort diese meine stolze deutsche Schule.”

Er hatte den Hausmeister herbeigeklingeit und befahl: Der Knabe Günter Nonninger ist an seinen Platz zu führen. Er hat seine Sachen aufzunehmen. Führen Sie ihn vor die Pforte. Er ist der Schule verwiesen. Seine Eltern werden telefonisch unterrichtet.” Und so geschah es. Ich war draußen. Ein Dr. M. rief meinen Vater an und wollte ihn telefonisch zurechtweisen, ob meiner fehlenden nationalen. Gesinnung. Da kam er an die richtige Adresse, wegen des deutschen Wesens.

Wie ich später mehrfach feststellte im Leben, war ich nicht zum „großen Deutschen” geeignet. Ich bekam ein Abschlusszeugnis mit „nicht genügend” von oben bis unten, eben nicht genug. Man wollte mich wohl als Volksschädling" vernichten.

Ich wurde Drogist, was sich als vorteilhaft erwies und bekam eine militärische Deklaration: „Neigt zu starker Insubordination”. Witzigerweise fand ich 40 Jahre später, bei der Auflösung der Wohnung meiner Eltern, einen mir bis dahin unbekannten Brief der IHK als Auszeichnung zur bestandenen Fachprüfung zum Drogeristen. Als Dank war Adolf Hitlers „Mein Kampf" angefügt.

* Zitat von Kaiser Wilhelm II. zur Verabschiedung des Chinacorps 1902. . .


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