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Dienstag, 24. 12. 2002
Donnerstag, 2. 1. 2003


Von Geld,  Kupfer und Kanonen oder...


... wie die Bürger von Alt-Lobberich ihre Alte Kirche retteten/
Ein Kupferdach nach dem Vorbild von St. Quirinus in Neuss

Von Günter Nonninger

Um es vorweg zu sagen, ich selbst war Augen- und Ohrenzeuge und nur ein ganz klein wenig Mitspieler dieser wahren Geschichte, die sich im Nachkriegs-Lobberich von 1945 bis 1953 abspielte. Die Geschichte begann an dem letzten, wunderschönen Oktobertag des Jahres 1945, als ich auf einem Kohlenzug aus der Kriegsgefangenschaft in Kempen ankam. Nach einer fast vierjährigen Rundreise durch Ost-, Südost- und Südeuropa im Auftrag des "Gröfaz" (geringschätzige Landesabkürzung für Hitler, laut Propaganda "Größter Feldherr aller Zeiten, jedoch im Soldatendeutsch "Größter Fatzke aller Zeiten") endete die Reise an dem Punkt, an dem sie begonnen hatte. Von wegen "Wenn siegreich der Krieg dereinst beendet ist, dann ziehen wir mit Musik ins Städtchen": auf Kohlenzügen kamen wir zurück geschlichen. Wenn es heute in den Chören und Wunschkonzerten heißt: "Heimat deine Sterne so hieß es 1945: "Heimat deine Trümmer, die Sonne scheint durch den 4. Stock, im Keller liegen kaputte Teller, und Opa sucht, seinen Sonntagsrock."

Rückkehr in die alte Heimat Lobberich

Da noch kein Zug von Kempen nach Lobberich fuhr, ging es per Anhalter im grünen Wanderer des zufällig vorbeikommenden Kreisveterinärs Dr. Wollersheim heimwärts. im Schlibeck bergauf fahrend, entdeckte ich mehrere schaufelnde und sägende Lobbericher Bürger, darunter auch meinen alten Lehrer. Ich bat Dr. Wollersheim anzuhalten, um mich mit Hallo zurückzumelden, war bereits ausgestiegen als eine Stimme von der Böschung ertönte: "Kallen Se neet mit die Lüüh, dat sind alles Nazis und PG's (Abkürzung für Parteigenossen)! Fahren Se wiier! Und dou Mänken bis morjen och dabee!" "Das kann ja heiter werden", dachte ich, und war froh, in kurzer Zeit zu Hause zu sein, wo das Begrüßungs-Hallo groß war.

Schon bald nach meiner Rückkehr inspizierte ich Lobberich-Mitte, Der Ort war sauber aufgeräumt, doch zahlreiche Fenster und Schaufenster waren mit Brettern vernagelt, denn der Krieg hatte in den letzten Tagen Lobberich noch heftig heimgesucht. Eine sogenannte VI (eine unbemann te deutsche Flugbombe) war am 19. Februar 1945 in die Türe des Hotels Köster (heute Eingang der Deutschen Bank) geflogen und dort explodiert. Diese hatte gewaltigen Schaden an den Häusern der unteren Hochstraße, an vielen Gebäuden der Marktstraße sowie an der Alten Kirche angerichtet, wobei viele Soldaten und Bürger getötet wurden. Ich sah viele Kleidungsstücke in den Bäumen des Ingenho venparkes hängen. Zudem hatten in der Nacht vor. dem Einmarsch vom 1. zum 2. März 1945 die Amerikaner Lobberich mit Kanonen be schossen. Dabei erlitt die Alte Kirche nochmals Schaden an Turm und Langhaus.

Ausschuss für den Erhalt der Alten Kirche

Die Alte Kirche wirkte als steinerne Frage: "Wie werden wir weiterleben, wie wird es überhaupt weitergehen?" Für die Alte Kirche selbst hieß es: kann sie noch repariert werden, soll man sie abbrechen? Was tun? Warten?" Mein Vater erzählte mir, dass sich bereits ein "Ausschuss für die Erhaltung der Alten Kirche" gebildet hätte, der schon über einen Kassenbestand von 611 Reichsmark verfüge.

Ja, die liebe Alte Kirche! Erinnerungen an schöne und frohe Jugendjahre, Platz der Schulmessen, verbotener Orgelspiele und waghalsiger Kletterpartien wurden wach. Sie war für uns Knilche von Markt- und Hochstraße das Spielparadies. Platz deftiger Prügeleien gegen ebenso zart besaitete Knaben anderer Straßenzüge, die uns den Platz um die Alte Kirche streitig machen wollten, und ebenso Platz ständiger Auseinandersetzungen mit den Dorfpolizisten. Und wenn ich heute an der Kirche vorbeigehe, an die Kletterpartien denke, kommt mein Kreislauf ins Wanken, und die Haare gehen mir zu Berge.

Jugenderinnerungen an die Alte Kirche

Und dann waren da noch die Schulmessen der höheren Knaben- und Mädchenschule Lobberichs (heute Werner-Jaeger-Gymnasium) an jedem Dienstag und Freitag von Viertel nach sieben bis Viertel vor acht. In den Bänken zur linken saßen die Mädchen, brav und sittsam, und zur rechten die Knaben, sortiert nach Klassen und erkennbar an den roten Schülermützen, deren unterer Rand bei der Sexta grün, bei der Quinta blau, bei der Quarta rot und bei den Senioren der Untertertia orange war.

Die Schüler wurden überwacht von Fräulein Maria Teggers als Lehrerin, kämpfendes Mitglied des 3. Ordens gegen unser Temperament. Dies geschah alles nach dem Motto: "Wehe dem, der quatscht!" Ihre saftigen Ohrfeigen waren nicht ohne. Jedoch wurden diese nur noch übertroffen von den Folgen der "Montags-Inquisition" "Wer war nicht in der Andacht oder in der Christenlehre?" Dreimal aber Wehe dem, der etwa während dieser Zeit Fußball gespielt hatte.

Nicht zu vergessen die alte mit Blasebälgen angetriebene Orgel, gespielt von Herrn Lehrer Scheufgen, der gar trefflich vor dem Spiel mit graziösem Schwung seinen Schwalbenschwanz über die Orgelbank legte. Den Blasebalg durften die in der Nähe der Alten Kirche wohnenden Schüler treten, und da kam es vor, dass die Orgel ins Stottern geriet, weil die Luft ausblieb, da noch dringend eine Englisch-, Latein-, Französisch- oder Mathematikhausaufgabe abgepinnt werden musste.

Den Schlüssel von Küster Dohmes erschlichen

Aber manchmal haben wir auch unter sagenhaften Vorwänden von Egidius Dohmes, seines Zeichens Gast- und Landwirt, Küster der Alten Kirche sowie Zubereiter eines besonderen leckeren Wimmelenschnapses, den Schlüssel der Alten Kirche erschlichen. Wir malträtierten die Orgel mit Tönen, die mit bestem Willen nichts mit frommen Kirchenliedern zu tun hatten, sondern eher dem gerade aufkommenden Jazz und Swing ähnlich waren, um dann - so inspiriert - zu fast alpinen Klettertouren in Turm und Langbau zu starten. Wurden wir entdeckt, versprach man uns meist von unten Absolution, wenn wir nur heil herunterkommen würden. Lang, lang ist's her.

1945, es waren nur acht Jahre vergangen, aber es war als sei es vor -zig Jahren gewesen. Wir waren als grüne 17Jährige ausgezogen und uralt zurückgekehrt. Und da war noch etwas, wenn man durch den Ort ging. Man hoffte, von so manchem Haus aus nicht erspäht zu werden, um so manchen Eltern nicht zu begegnen, deren gleichaltriger Sohn mit uns ausgezogen war, um nie mehr nach Hause zu kommen, ohne jede Nachricht für immer verschollen. Insbesondere hatte es die auf der unteren Hochstraße wohnenden Familien getroffen, wo Haus für Haus die Söhne für immer ausbleiben würden, und dazu noch die VI, die alles zerstört hatte.

Wer war die Familie in dem englischen Lkw?

So weit der Blick zurück, und nun nimmt die Nachkriegsgeschichte ihren Lauf

Am 3. November 1945 hielt ein kleiner englischer Lkw vor unserem Haus am Markt 20. Es sprangen zwei englische Offiziere mit einem rund 40 Jahre alten Herrn in Zivil von der Ladefläche herab. Der Zivilist stürmte auf mich zu und fragte: "Sind wir hier richtig in Lobberich?" Man musste diese Frage verstehen, denn im Zuge der Westverteidigung waren sämtliche Wegweiser entfernt worden. Als ich die Frage bejahte, stürmte er zur Tür des Fahrerhauses, riss diese auf und jubelte: Wir sind da, wir sind da!"

Ich erblickte eine junge hübsche Frau, die zwei kleine Jungen an sich drückte, die mich mit großen Augen neugierig ansahen. Aber dann überraschte mich die Frage: "Kennen Sie Herrn Prof. Dr. Max Haas?" "Aber selbstverständlich, er ist mein Onkel", antwortete ich. Würden Sie uns bitte hinbringen?" Ich bejahte und brachte die unbekannte Familie samt der englischen Begleitung zum Haus der Familie Haas in der Kempener Straße. Beim Öffnen der Türe, fielen sich die Familien um den Hals. Die eine froh, wieder ein Dach über dem Kopf zu haben, die andere froh, die Nachbarn vom Berliner Griebnitzsee gesund und munter wiederzusehen.

Flucht vor dem Zugriff der Russen

Aus den Engländern war nichts heraus zu bekommen, wer diese Familie war. Man gab nur zu erkennen, dass die Familie in letzter Minute vor dem Zugriff der Russen gerettet, sofort aus Berlin ausgeflogen und nach Lobberich gebracht worden war. Und damit hatten die Hauptakteure dieser Geschichte Lobbericher Boden betreten, nur wir ahnten es damals noch nicht.

Nun sind fast alle Mitwirkenden dieser Geschichte versammelt: Die Bürger von Alt-Lobberich, die auf der Markt-, Kempener-, Süchtelner-, Kirch-, Schul-, Hoverkamp-, Bruch-, Hoch-, und Alleenstraße wohnten, der Ausschuss zu Erhaltung der Alten Kirche, der noch unbekannte "Hauptdarsteller" und die Alte Kirche. Aber noch fehlen viel Geld, Kupfer und Kanonen.

Der schwer beschädigte Turm der Alten Kirche.

Mitte November 1945 erschien plötzlich ein Citroën mit französischer Militärpolizei, um jenen unbekannten Herrn abzuholen. In jener Zeit hatte man es sich abgewöhnt, von derartigen Aktionen überrascht zu sein. Es soll sich um einen Herrn Pierburg handeln, aber mehr war nicht zu erfahren. Pierburg, wer war das, was tat er? Jedenfalls einer von den großen Nazis konnte er nicht sein, denn sonst hätten ihn die Engländer wohl kaum nach Lobberich gebracht. Aber zu unserer Überraschung tauchte Herr Pierburg nach einer Woche wieder auf Unsere Familie hatte in der Zwischenzeit Frau Pierburg. und die beiden Jungen kennengelernt.

Nach seiner Rückkehr erfuhren wir von Herrn Pierburg folgendes: Jedes deutsche Auto fuhr mit einem Solex?Vergaser. Diese Vergaser wurden nach französischen Patenten und Lizenzen in Berlin und Mitteldeutschland gebaut. Der deutsche Lizenznehmer war sein Vater, die Herstellerbetriebe waren in die Hände der Russen gefallen und bis zum letzten Lichtschalter demontiert worden. Er selbst und seine Familie wurden in der letzten Minute von den Engländern aus der Zuflucht nahe Berlin gerettet, von dort sofort in die britische Zone nach Lobberich gebracht. Seinen Mitarbeitern hatte man Anweisung gegeben, sich Y?sö?vaww?je mögl,?clu nach Lobberich durchzuschlagen. Von den Franzosen war er nun nach Paris gebracht worden und musste deshalb fürchten, dass alle Lizenzen etc. als Reparation eingezogen würden. Zu seiner großen persönlichen Überraschung standen die Franzosen jedoch zu allen Verträgen, die mit seinem Vater abgeschlossen worden waren.

Es sollten noch mehrere Jahre vergehen

Eine Erklärung, warum er nun ausgerechnet nach Lobberich gebracht wurde, gab er nicht, und es sollte noch mehrere Jahre vergehen, ehe das Geheimnis, das letztlich die Gemeinde Lobberich aus ihrer. totalen Abhängigkeit von der Textilindustrie befreite, gelüftet wurde,

Im Dezember 1945 engagierte Herr Pierburg den Lobbericher Industriekaufmann Norbert, Thoneik. In Thoneiks Wohnküche und Wohnzimmer im Hause Markt 15 über dem Torbogen begann der Wiederaufbau der Firma Pierburg.Die ersten Telefongespräche mussten über den Telefonanschluss der Firma F.W. Kalkuhl geführt werden, weil damals keine Neuanschlüsse eingerichtet werden konnten. Noch heute sehe ich vom meinem Auge, wie Herr Thoneik jedesmal den Telefonhörer mit seinem Taschentuch reinigte, ehe er ihn Herrn Pierburg reichte.

Ein Mahnmal der tiefen Resignation

Die Jahre 1946, 1947 und 1948 gingen ins Land. Die Alte Kirche ragte noch immer als ein Mahnmal der tiefen Resignation über Lobberich, die fast alle Bürger erfasst hatte. Hunger, Kälte, Kohlenmangel, Flüchtlingsströme, Demontage der Industrieanlagen und der Morgentau-Plan, nach dem das Ruhrgebiet in einen Kartoffelacker umgewandelt werden sollte, verängstigten die Menschen. Niemand wusste, wie es weiter gehen würde, weshalb man vorsorglich Pappeln pflanzte, damit man in den folgenden schweren Jahren wenigstens Holz für Schuhe haben würde.

Diese Zeit war so schlimm, dass jeder, der eine Voraussage über den zehn Jahre später erreichten wirtschaftlichen Aufstieg wagte, als Irrer in eine Heilanstalt gebracht worden wäre. Trotzdem wurde fleißig für den Wiederaufbau der Alten Kirche gesammelt. Mehrfach ging auch ich mit der Spendenliste rund, fast jede Familie in den Straßen Alt-Lobberichs spendeten im Rahmen ihrer Möglichkeiten, mal zehn Pfennige, mal 20 Pfennige. Beträge von einer Reichsmark waren allerdings sehr selten, denn die Pfennige waren ungewöhnlich knapp.

Der Ausschuss für die Erhaltung der Alten Kirche setzte sich zusammen aus den Herren Paul Brocher (Leiter der Gemeindeverwaltung Lobberich), meinem Vater Anton Nonninger, Matthias Hennen (Landwirt), Theo Optendrenk senior, Prof. Dr. Max Haas, nach der Währungsreform Dr. Karl Smeets (Gemeindedirektor), Arno Schmitter (Architekt und Bauingenieur) und später Dechant Werth. Oft trafen sich die Herren in unserem Wohnzimmer, um sich zu beraten. War es für die dringend notwendige Sicherung der anliegenden Häuser und des Rathauses gegen herabfallende Trümmer oder um einen Weg zu suchen, wie man die Alte Kirche reparieren könne

Kupferdach für die Alte Kirche

Seit jeher war die Alte Kirche mit Schiefer gedeckt und sollte gerade ausgebessert werden, als Westwallbau und Kriegsbeginn die Einstellung der Arbeiten erzwangen. Die Getreuen des Ausschusses blickten bei ihren Überlegungen neidvoll auf den Turm von St. Quirinus in Neuss, der mit seinem grün leuchtenden, patinierten Kupferdach den Krieg gut überstanden hatte. Eine Besichtigung dorthin festigte den Entschluss, auch der Alten Kirche eben einen solchen Kupferhelm zu verpassen. Aber woher Kupferblech nehmen und nicht stehlen. Die Gemeinde Lobberich war arm und hatte wahrhaft andere Sorgen: Die katholische Kirchengemeinde mit der neuen Pfarrkirche, und die Diözeese Aachen mit ihren vielen total zerstörten Kirchen und Pfarreinrichtungen konnte nicht helfen. Trotzdem wurde unverdrossen weiter gesammelt, auch von anderen Bürgem der weiteren Umgebung von Alt-Lobberich und von Bauern kamen Spenden. Im Frühjahr 1948 waren es 6.500 Reichsmark.

Währungsreform

Die Gerüchte der Währungsreform verdichteten sich immer mehr. Da der Generation unserer Väter noch das schreckliche Ende der Inflation 1923 in den Knochen steckte, suchte man das Kapital von 6.500 Reichsmark unterzubringen. Jedoch kein Handwerker nahm das Geld als Vorausleistung für zu erbringende Reparaturen, kein Ringofen für Steine etc. Man saß auf dem Geld, und suchte und suchte nach einem. Weg.

Im Mai, 1948 erzählte nun Prof. Dr. Haas Herrn Pierburg die Geschichte, und dieser erklärte sich, oh Wunder, bereit, das Kupferblech zu beschaffen. Wie allerdings, das war seine Sache, er kenne ein Werk, das ihm verpflichtet sei. Nur wenige Tage später kam die Nachricht, dass das so sehnlichst erwünschte Kupferblech bei der Kupferhütte in Osnabrück gegen die Entrichtung von 6.500 Reichsmark abgeholt werden konnte. Ein LKW der Firma Robert Kahrmann startete, mit dem Fahrbefehl des Straßenverkehrsamtes Kempen ausgestattet, gegen Osnabrück, nahm das Kupferblech in Empfang und brachte es heim nach Lobberich, wo es in der Alten Kirche eingelagert wurde.

Am 20. Juni 1948 kam die Währungsreform, und die Kasse des Ausschusses war restlos leer. Danach flossen die Spenden immer spärlicher, da das Geld noch knapper war. Es tönten bereits einige Stimmen: "Wat sol dä oa-en Driet, aavriete!" Übrigens sollten es dieselben Stimmen sein, die bei der späteren so erfolgreichen Sanierung des Brockerhofes mitwirkten!

Angebot an die evangelische Gemeinde

In der Zeit von 1946 bis 1948 war die Lobbericher evangelische Gemeinde von ehemals nur wenigen Mitgliedern durch den Zustrom unserer aus dem Osten vertriebenen Mitbürger zu einer großen Gemeinde ohne Kirche gewachsen. Da jedoch der Krieg die etwa bis zur Kriegsmitte bestehenden, teilweise unversöhnlichen Gegensatze zwischen den katholischen und evangelischen Bevölkerungstellen hinweg gefegt hatte, beschloss man, die Kirche den evangelischen Mitbürgern nach Fertigstellung als Gotteshaus anzubieten, was auch akzeptiert wurde, aber nicht eintraf.

Kanonen

Die Kasse des Ausschusses wuchs trotz einer Spende von Herrn Karmin über 1.000 Mark nicht mehr an. Die Herren des Ausschusses schauten sorgenvoll nach oben, aber nichts half. Keine Erleuchtung, keine Spenden und kein Segen kam von oben, nur Bretter und Steine fielen herab. Als nun der Pessimismus und die Ratlosigkeit bei den mitwirkenden Herren am größten war, da donnerten 20.000 Kilometer von Lobberich entfernt die Kanonen. Dieses Mal jedoch sollten die Kanonen die Kirche retten, und nicht - wie bereits zweimal vorher geschehen - beschädigen: Zunächst, am 16. Juni 1642 wurde der Kirchturm bis zu dem heute noch sichtbaren weißen Kreuz von hessischen Kanonen im 30jährigen Krieg zerstört, und zum zweiten war der Schaden durch die Beschießung der Amerikaner im März 1945 noch nicht behoben. Aber dieses Mal sollten amerikanische Kanonen die Alte Kirche retten.

Die sogenannte Koreakrise war ausgebrochen. Am 25. Juni 1950 hatten Nordkorea, China und die Sowjetunion plötzlich das von den Amerikanern besetzte Südkorea überfallen und trieben die amerikanischen Truppen vor sich her in den Hafen Pusan an der Südküste. Dort bauten die Amerikaner nun unter dem Schutz der Schlachtschiffe der US-Navy einen Brückkenkopf auf. Dazu brauchten die US-Navy und die US-Army Artilleriemunition, also Granaten und Kartuschen. Amerika hatte jedoch seit 1945 konsequent abgerüstet, seine Munitionsbestände in den Weltmeeren versenkt. Glaubte man doch, dass es nach Hiroshima und Nagasaki sowie der Gründung der UNO niemals mehr Krieg geben würde. Jedoch die Kanonen schossen und brauchten Granaten. Die Granaten brauchten Kupferführungsringe und Messingkartuschen. Das hierfür benötigte Kupfer war bald auf dem Weltmarkt nur noch zu Phantasiepreisen zu bekommen. Für ein.Kilogramm Pfennigstücke, was einem Geldwert von vier Mark entsprach, bekam man rund 16 Mark. Da kam es vor, dass schon mal Häusergruppen im Dunkeln saßen, weil Diebe die Kupferstromkabel gestohlen hatten.

Jetzt schlug die Sternstunde des Ausschusses für die Erhaltung der Alten Kirche. Als der Kupferpreis unvorstellbare Höhen erreicht hatte, beschloss man, das Kupferblech zu veräußern. Durch die Vermittlung von Herrn Kahrmann fand sich sofort ein Käufer, der für das zum Preis von 6.500 Reichsmark erworbene Kupferblech 20.000 Mark zahlte. Hinzu kamen noch im Laufe der Zeit Beihilfen des Landes in Höhe von 19.500 Mark. Endlich hatte man das Geld, um vorgehen zu können. Über Prof. Dr. Haas wurde die Berliner Turmbaufirma Karl Linde nach Lobberich geholt.

Turmbaufirmma Linde beauftragt

Ich kann mich noch gut an die Spannung des Morgens ersinnen, als Herr Linde als erste Person nach dem Krieg den Kirchturm bestieg, um festzustellen, ob der Turm überhaupt noch zu reparieren war. Nach bangen Stunden kam Herr Linde zurück. Er brachte die frohe Botschaft, dass die Hauptbalken und Streben unversehrt seien und der Turm repariert werden könnte. Die Arbeiten des ersten Bauabschnittes wurden in Auttrag gegeben. Sie wurden später mit 32.161,91 Mark abgerechnet.

Die Turmarbeiten wurden mit einfachen Mitteln ohne Hochgerüst ausgeführt. Kuppel, Hahn und Kreuz wurden demontiert und abgeseilt. Bevor wieder alles an den alten Platz hochgehievt wurde, legte man in die Kuppel Erzeugnisse der Lobbericher Industrie, eine Tageszeitung und ein Schreiben des Bürgermeisters an spätere Generationen. Der Text des Schreibens wurde vorher diskutiert, ob und wie man die märchenhafte Finanzierung, sprich Handel mit Kupfer, den späteren Generationen zu kund und wissen geben könne.

Jedoch waren die Herren des Ausschusses der Ansicht, so etwas gehöre sich nicht und werde besser vergessen. So etwas könne man späteren Generationen nicht zumuten. Daraufflin verfasste Dr. Karl Smeets den salbungsvollen Text, der im Jahre 1986 wiedergefunden wurde.

lm zweiten Bauabschnitt wurde das Dach repariert. Die Kosten hierfür betrugen 23.592,90 Mark. Der Ausschuss verfügte nur noch über 10.769,90 Mark. Die Differenz von 12.823 Mark wurde von Lobbericher Handwerkern kreditiert und 1954/55 aus anderen Mitteln bezahlt. Bei der Eindeckung des Daches kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit der Beauftragten, des Landeskonservators Frau Oberbaurat Cornelius. Diese bestand auf die Entfernung der ursprünglichen Schiefereindeckung des Langhauses und der Seitendächer. Frau Cornelius verlangte gegen den erbitterten Widerstand der Herren, sowie dem Architekten Arno Schmitter, dass die Alte Kirche mit Hohlpfannen einzudecken sei. Die Warnung aller beteiligten Herren vor Sturmschäden wurde ignoriert. Die prophezeiten Sturmschden traten prompt ein, und sind bis auf den heutigen Tag eine Quelle gefährlichen Ärgernisses.

Im Frühjahr 1954 machten mehrere Umstände die Weiterarbeit des Ausschusses für die Erhaltung der Alten Kirche unmöglich. Aber: bis Ende 1953 war es ihm gelungen, die Alte Kirche vor dem Zerfall zu retten.


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