Eisernes Buch
der Gemeinde Lobberich (1929)

- Krieg und Jugend -

Seit 146

eisernes Kreuz

a) Krieg und Kinder.

Auch in das Jugendland warf der Krieg seine finsteren Schatten. Durch Feuerung, Arbeitslosigkeit und Mangel an Lebensmittel erschwerte er die Pflege und Ernährung der Kinder und der heranwachsenden Jugend, stempelte sie in vielen Dingen zu einer recht mangelhaften. In Lobberich verfuhr er in dieser Beziehung nicht am strengsten. Hier fand er in der ausgedehnten Landwirtschaft einen starken Widerstand. Trotzdem war auch hier während der Kriegszeit bei manchen Kindern Körperschwäche infolge Unterernährung zu beobachten. Diesem Übel kräftig zu steuern wetteiferten die weltliche und kirchliche  Behörde miteinander. Die Lobbericher Gemeindeverwaltung veranstaltete eine Kinderspeisung. Es wurden jeden Morgen in den Schulen den bedürftigen Kindern Milchsuppe, Kakao und Brötchen verabreicht. Herr Geheimrat van der Upwich richtete, wie bereits an anderer Stelle hervorgehoben, für die Wintermonate der Kriegsjahre 1914, 15, 16 und 17 in den Räumen seiner Fabrik eine Suppenküche ein.

Die weltliche und die kirchliche Behörde waren fernerhin eifrigst bemüht, schwache und bedürftige Kinder in den Familien der Landwirte und Selbstversorger unterzubringen. Zu diesem Zwecke erließ auch der Bischof von Münster mehrere Ausrufe an seine Diözesanen, in denen er Landwirte und Selbstversorger dringend ermahnte und bat, sich doch der notleidenden Kinder anzunehmen, besonders der Kinder aus den großen Städten, wo die Not sich in großem Maße geltend mache. Mit herzlichem Denke muss hier die freudige Bereitwilligkeit der Lobbericher Landwirte und Selbstversorger hervorgehoben werden, die im Rufe des oberhirten folgend, viele Kinder aufnahmen und ihnen eine gute Verpflegung zuteil werden ließen. Blass und abgemagert kamen die armen Kriegskinder aus der Industriegegend in Lobberich an, aber bald schon wurden ihre Gesichtchen voller und die Blässe wich einem frischen Rot. Manche dieser Kinder bleiben ein Jahr und noch länger in der guten Pflege.

In der Fürsorge für die Kinder zeichnete sich in besonderer Weise auch das Nachbarlang Holland aus. Als die Kriegsnot sich an den Kindern Deutschlands und Österreichs in erschreckender Weise fühlbar machte, taten sich in Holland überall gütige Herzen auf. Scharenweise zogen Kinder dorthin aus Deutschland, Österreich und aus Ungarn. In dürftigen Kleidchen, kraftlos mit blutleeren Lippen, aber mit Augen voller Erwartung kamen sie. Ein heiliger Wetteifer entstand unter den holländischen Pflegeeltern, die ihre armen Schutzbefohlenen bald wieder mit guten Kleidern und gesunden roten Wangen herumlaufen sahen. Millionen von Gulden wurden für diese Kinder geopfert. Die großen Werke der Barmherzigkeit Hollands darf Deutschland nie vergessen, sie müssen ein Ruhmesblatt in der Geschichte des großen Krieges bilden.

Leider konnte die Mildtätigkeit nicht allen bedürftigen Kindern zugute kommen, deshalb ließ sich die körperliche Schwächung eines großen Teiles der deutschen Jugend infolge der Kriegsnot nicht abwenden. Es ist eine feststehende Tatsache, dass mancher Krankheitsleim während der Kriegsjahre bei der deutschen Jugend gelegt wurde, der sich langsam weiter entwickelte, um in spätere Jahren in Strofulose, Tuberkulose oder in einer anderen Krankheit auszuwachsen. Heute, im Jahre 1929, hört man bei gesundheitsschwachen Kindern noch die Bezeichnung „Kriegskind“.

Hemmend für die körperliche Ertüchtigung der Jugend war während der Kriegszeit auch in vielen Fällen die Überbürdung mit Arbeit. Mussten doch gar oft Kinder und Jugendliche die Arbeiten der ins Feld gerückten Väter oder Brüder verrichten! Und welch´ schwere Lasten mussten ihre jugendlichen Arme nicht selten tragen oder ziehen! Wieviele Säcke mit Kartoffeln, Kohlen oder dergleichen wurden von Kindern herbeigeschafft, die im Frieden die Kraft eines Erwachsenen forderten! Ohne Rücksicht auf Jahreszeit und Witterung mussten die Kinder nicht selten stundenweise Wege machen, um Nahrungsmittel heranzuholen. Wie manches Kind kam durchnässt heim von seinen Botengängen oder von stundenlangem Warten  im Freien vor den Verkaufsstellen, wo die Erwachsenen sich ihm immer wieder vordrängten.

Eine körperliche Entwicklung der Jugend sehr schädigender Umstand war dann auch die Härte, die der lange und grausame Krieg auf die Seele der Jugend ausübte. Wieviele Tränen entlockte er nicht den Kinderaugen und den Augen der Jugendlichen beim Abschied vom geliebten Vater oder Bruder, bei der Nachricht von ihrer Verwunderung oder gar von ihrem Heldentod. Wie wurden die jungen Herzen niedergedrückt von den Sorgen der Mutter um´s tägliche Brot! Sollen Kinder wohl gedeihen, brauchen sie das Sonnenlicht der Freude. Ach, wie wurde ihnen dieses verhüllt durch die finsteren Kriegswolken! Überall Kriegsnot, Kriegssorge, Kriegsgespräche, Mangel! Den Süßigkeiten, mit denen die Friedenszeit die Kleinen zu erfreuen wusste, machte der furchtbare Krieg gar bald ein Ende. St. Nikolaus und dem Christkind versperrte er den Weg. Ja, das Kind litt körperlich und seelisch im Kriege gar sehr, und die Schäden, die der Krieg im Kindesleben anrichtete, dürften wohl kaum auszumerzen sein.

Von einer einschneidenden schlimmen Bedeutung war der Krieg endlich auch für die Erziehung und den Unterricht der Kinder. Fassen wir zunächst die Erziehung in´s Auge. Der Vater im Felde, die Mutter überlastet mit Arbeiten und Sorgen, die Kinder sich vielfach selbst überlassen, sehr oft außerhalb des Hauses, auf Botengängen, bei der Arbeit. Da wachte oft kein Auge über ihr Tun und Lassen, da war die Freiheit für sie oft eine Notwendigkeit und wurde die Gelegenheit zu allerlei Verirrungen für sie.
Doch wo Schatten, da auch Licht. So auch im Jugendgebiete während der Kriegszeit. Lagerten auch oft düstere Schatten in ihm, so strahlte es zeitweise auch im hellsten Sonnenlichte. Schauen wir uns zunächst im Kinderlande um. Da leuchtet uns aus unschuldigen Kinderaugen die größte Freude entgegen, wenn die Angehörigen oder die Lehrer ihnen von den Siegen der Deutschen erzählten. Da ergießt sich lauter Freudenjubel aus Kindermund, so oft die Glocken Siege verkündeten. Da steigerte sich die Freude am folgenden Schultage, wenn der Lehrer eine Siegesfeier veranstaltete und bei dieser Gelegenheit den zu Ehren des Sieges von der Schulbehörde gewährten schulfreien Tag verkündete; da hielt das Kind in seiner Unerfahrenheit den Krieg schon für gewonnen, schaute die Heimkehr seiner Lieben schon in nächster Nähe. Und wie oft genossen die Kinder während der vier Kriegsjahre, dank der Tapferkeit ihrer Väter und Brüder, diese Siegesfreude!

Ebenso große Freude schufen die großen Kriegsereignisse in den Herzen der Kinder dadurch, dass sie in ihren die Vaterlandsliebe erwachen ließen, die sie zur Friedenszeit in der Schule wohl oft als etwas hohes hatten rühmen gehört, die ihrem kindlichen Empfinden aber noch fremd geblieben war. In der Kriegszeit nahm die Vaterlandsliebe ihre jungen Herzen gefangen, bevor sie es ahnten, drängte sie, dem Vaterlande ihre Dienste anzubieten und löste die größte Freude bei ihnen aus, so oft ihnen dieses möglich war. Die Kinder der oberen Schulkassen ermüdeten nicht, allwöchentlich eine bestimme Anzahl Liebesgabenpakete ihren Lobbericher Mitbürgern ins Geld zu senden, deren Inhalt sie durch Sammlungen in der Gemeinde beschafften. Wie froh waren sie bei der Besorgung dieses Liebesdienstes gestimmt! Sie erfuhren, dass beglücken glücklich macht. Die Finger der Mädchen rührten sich emsig in und außerhalb der Schule in der Anfertigung von Strümpfen, Knie- und Ohrenwärmern sowie Schals. In welchem Umfange dieses geschah, ist bereits im Abschnitt Kriegsfürsorge verzeichnet. Gedrängt von Vaterlandsliebe eilten Knaben und Mädchen mit Körben, Schub- und Ziehkarren freudig von Haus zu Haus, um in eigens dazu bestimmten Wochen für Kriegszwecke Kupfer, Metalle, Wolle und Kleidungsstücke zu sammeln. Je größer das Gewicht ihrer Sammlung für sie wurde, umso lauter ertönten ihre Freudenrufe. Mit welchem Jubel eilten sie dann zur Schule, wenn sie nach Anleitung der Lehrer und Lehrerinnen mit Erfolg für die Kriegsanleihe geworben hatten! Und als dann im letzten Kriegsjahre der Mangel an Futtermitteln die Laubsammlung nötig machte, da zogen sie in Begleitung der Lehrpersonen mit Säcken, Schub- und Ziehkarren in den Wald, um Laub zu sammeln, das, getrocknet und dann gemahlen, Futtermehl für die Kriegspferde werden sollte. War das eine Freude! Da wurden die jungen Herzen weit; da sangen die Kinder unterwegs voller Freude und voll Hoffnung auf einen günstigen Erfolg des Durchhaltens Wander-und Vaterlandslieder. Wieviele Hunderte von Zentnern trockenen Laubes mag damals die Lobbericher Schuljugend wohl dem Felde übermittelt haben! Neben der Laubsammlung fand dann auch noch eine Sammlung von Weidenröschen statt. Die Fäden ihrer Stengel wurden wie die des Flachses behandelt und verwendet. Auch Buchecker wurden von der Schuljugend gesammelt, die zur Ölgewinnung dienten. Der Ausfall des Unterrichts, der infolge der Kriegsverhältnisse unvermeidlich wurden, war an sich zwar zu beklagen, da er manche Lücke im Wissen der Kinder hinterließ, aber angesichts des Zwecks, dem er dienen musste, war er als Förderer der Kriegsmittel sehr zu begrüßen. Von den Kindern wurde dieser Ausfall der auch während der Wintermonate infolge Kohlenmangels zuweilen eintrat, nur stets stürmisch begrüßt und zu den schönsten Freuden gerechnet, die die Kriegszeit ihnen brachte.

So sehen wir die Kinder der Gemeinde Lobberich während der Kriegszeit gedrückt und gehoben, körperlich geschädigt und seelisch bereichert, beklagt und bewundert zugleich.

Unzählige Kinderhände waren in den Schulen unter Leitung der Lehrpersonen mit der Anfertigung von Liebesgaben beschäftigt, die durch Vermittlung des Roten Kreuzes ins Feld gesandt wurden. Vielfach waren in den Schulen auch Sammelstellen von sonstigen Liebesgaben, wie sie die Truppen so dringend gebrauchen, eingerichtet worden. Man musste die Kinder sehen, mit  welch großer Begeisterung sie ihre Pfennige freudig opferten und alles Mögliche in ihrer guten Meinung brachten für die Krieger. Von der Liebe zu unserem Vaterlande war alt und jung erfüllt.

Die Lobbericher Schulkinder waren allgemein von großer vaterländischen Betätigung beseelt. Sie standen ganz unter dem Banne der Ereignisse, welche die Gemüter aller Deutschen bewegte. Wie hätte es aber auch anders sein können! Sahen sie doch, wie die Erwachsenen wetteiferten in der Sorge um unsere Krieger, in der Stillung und Linderung der Not, die der furchtbare Krieg heraufbeschworen hatte. Über das Sticken von Wollsachen für die Truppen wurde bereits berichtet. Hierbei wetteiferten nicht nur die Mädchen untereinander, sondern in den Knaben entstand ihnen eine große Konkurrenz, da sie mit ebensolcher Fertigkeit die Stricknadeln handhabten, wie die Mädchen. Dann kamen die Liebesgabenpakete. Freudigen Herzens gab die Schuljugend ihre Sparpfennige für diesen edlen Zweck her, manchem Kriegerherz im Feindesland dadurch Trost spendend in den Schrecken des Feldzuges. Jetzt hielten die Lobbericher Jungen und Mädchen eine Sammlung ab für Noteidende in den Reichslanden. Auch der großzügige Gedanke, aus dem Ertrage einer Sammlung der Schuljugend Deutschlands dem Kaiser ein Unterseebot zum Geschenk anzubieten, hatte bei den Kindern Wurzeln geschlagen. Für die beiden zuletzt genannten Zwecke wurde eifrig gesammelt.
Der Anregung des Ministeriums folgend beschäftigte sich auch die Lobbericher Schuljugend seit Sommer 1915 mit dem Ährenlesen auf abgeernteten Felder. Die gesammelten Ähren wurden zum Spritzenhause an der Alleestraße gebracht, wo der Ausdruck der Körner erfolgte. Die Nachlese ergab einen Ertrag von 1612 Pfund Getreide im Werte von 185,38 Mark, der dem Vaterländischen Frauenverein zur Verwendung für Lobbericher Krieger überwiesen wurde.
Im September 1915 veranstalteten die Lobbericher Schulkinder eine Sammlung alter Blechbüchsen, wobei eine ansehnliche Menge zusammenkam.

Bekanntmachung.
Aufnahme von Kindern der städtischen und Industriebevölkerung in ländlichen Familien.

Überall im Deutschen Reiche regt sich angesichts der immer schwieriger werdenden Ernährungsverhältnisse der Kinder in den Großstädten und Industriebezirken der Gedanke, diese Kinder für Wochen und Monate in Familien auf dem Lande unterzubringen, um Ihnen eine ausreichende und kräftige Ernährung zu gewähren und zu verhüten, dass die heranwachsende Jugend der städtischen und Industrie Bevölkerung infolge mangelhafter Ernährung dauern der Schaden an ihrer Gesundheit erleidet. Die Aufnahme der Kinder soll im vaterländischen Interesse möglichst unentgeltlich erfolgen. Es kann in dessen auf Wunsch der Verpflegungssatz von etwa 50 Pfennig für jedes Kind und jeden Tag gewährt werden. Die sonstigen näheren Bedingungen können auf jedem Bürgermeisteramte eingesehen werden.

Kempen- Rhein, den 12. März 1917.
Der Landrat.

Aber bereits vor Erscheinen dieser Bekanntmachung war in Lobberich für die Unterbringung bedürftiger Kinder ausreichend gesorgt.
Am 18. Mai 1918 musste die Suppenküche des Herrn Geheimrat es van der Upwich, die bereits in dem Abschnitt Kriegsfürsorge erwähnt ist, geschlossen werden, da es unmöglich war, die hierfür erforderlichen Lebensmittel zu beschaffen. Sowohl die Eltern als auch die Kinder bedauerten es außerordentlich, dass es dem edlen Spender nicht möglich war, diese in jener lebensmittelarmen Zeit so segensreiche Einrichtung bis zur neuen Ernte fortsetzen zu können. Die Kinder ließen dem Herrn Geheimrat ihren Dank für die erhaltene Speisung durch ein Gedicht, das eines der Mädchen vortrug, zum Ausdruck bringen und verabschiedeten sich von ihm durch einen dankbaren Händedruck.

b) Krieg und Jugendliche.

Die Kriegsschäden, von denen die Kinder heimgesucht wurden, trafen in gleicher Weise, ja in vielen Fällen noch in erhöhtem Maße, die Jugendlichen, denn Mangel an Beaufsichtigung und Gelegenheit zum Schmuggel waren für die Jugendlichen viel verderblicher als für die Kinder. dazu gesellte sich dann als weitere Kriegsnot noch die Arbeitslosigkeit.
Während das schulentlassene Kind im Frieden gleich eine Arbeitsstätte fand, zwang der Krieg es, zu Hause zu bleiben, weil infolge der Kriegsverhältnisse Arbeitsstätten und Fabriken entweder geschlossen waren oder doch nur in sehr beschränktem Maße arbeiten konnten. So warteten denn die Schulentlassenen zu Hause auf Arbeit, übernahmen heute diese und morgen jene Beschäftigung, um nur dem langweiligen Nichtstun zu entgehen und um wenigstens etwas zu verdienen. Im Sommer bot die Landwirtschaft ihnen einigen Erwerb, während sie dagegen im Winter zur Arbeitslosigkeit verurteilt waren. was aber bedeutete diese für die Jugendlichen, besonders zur Zeit der Not!
War es da zu verwundern, wenn Lobberichs heranwachsende Knaben und Mädchen sich dem Grenzschmuggel hingaben? Mancher Lobbericher Junge schreckte leider auch nicht davor zurück, durch Not und Arbeitslosigkeit dazu getrieben, sich dem Diebeshandwerk hinzugeben. Es konnte ja im Kriege leichter ausgeübt werden als zur Friedenszeit, und die Kriegsnöte ließen ihm in vielen Fällen sogar Billigung oder doch Entschuldigung zuteil werden. Wie verderblich wirkte aber der Diebstahl auf Charakter und Sitte‘ Welch‘ schlimmes Handwerk erlernte da die Jugend! „Jung gewohnt, alt getan!“ Ob nicht heute noch manche Dieb den Ursprung dieses Fehlers in der Kriegszeit zu suchen hat? Staat und Behörde aber blieben eifrigst bemüht, durch weise Jugendfürsorge-Maßnahmen die Verrohung der Jugendlichen zu steuern.

Bei den Jugendlichen war auch der Mangel an Freude größer als bei den Kindern. Diese schufen sich auf ihre kindlichen einfache Weise auch im Kriege manche stille Freude, die für die Jugendlichen keine Geltung mehr haben konnte. Volksfeste, wie Kirmes und Festnacht, fielen aus. Die Vereine waren in Folge der Kriegsverhältnisse außerstande, ihre Tätigkeit zur Erholung und Belustigung der Jugend zu entfalten, und so verkümmerte bei der Jugend der heitere, lebensfrohe Sinn. Dafür reifte aber bei ihr früher als sonst der Lebensernst. Die gewaltigen Kriegsereignisse, die große Not des Vaterlandes, das Sterben und Bluten ihrer Mitbürger, die Leiden und Sorgen des Elternhauses packten das junge Gemüt so, dass es mitstritt und mitlitt, mitstrebte und mithoffte, dass es drängte, helfend einzuspringen, wo nur immer das Wohl des Vaterlandes dies erheischte.

Die Lobbericher weibliche Jugend zeigte sich unermüdlich in der Anfertigung von Kleidungsstücken für die Krieger, sowie von Sandsäcken für die Front und wetteiferten miteinander, wenn es galt, sich dem „Roten Kreuz“ zur Verfügung zu stellen zwecks Ausbildung in der Verwundetenpflege und Ausübung derselben. Die vom hiesigen Arzte Dr. Hennes gehaltenen Lehrgänge wiesen eine sehr große Zahl von Teilnehmerinnen auf, wie es dann auch später in den Lobbericher Lazaretten nie an helfenden Händen junger Mädchen fehlte. Diese schreckten vor den größten Opfern nicht zurück, sodass ein einstimmiges Urteil der Verwundeten über ihre Verpflegung den jungen Lobbericher Pflegerinnen das rühmendste Zeugnis ausstellte.
Wie wäre es auch ohne besonderen Heldenmut der Lobbericher Jungmädchen nur möglich gewesen, den in diesem Buch geschilderten Lazarettdienst durchzuführen!

Die Jungmänner Lobberichs aber eilten freudig in die Granatfabriken uns stellten sich außerdem mit der größten Bereitwilligkeit sowohl für den Sanitätsdienst als auch für den Hilfsdienst in der Gemeinde zur Verfügung. Dann aber sehen wir noch, wie sie, gedrängt von Vaterlandsliebe, sich vereinigten behufs Vor- und Ausbildung für den Waffendienst, um zur gegebenen Zeit die Lücken ihrer gefallenen Väter und Brüder ausfüllen zu können.
Während nun zunächst zwei Verordnungen, die Jugendfürsorge betreffend, folgen, wir im Anschlusse daran die Lobbericher Jungwehr eingehend besprochen.

Verordnung betreffend Jugendfürsorge.

  1. Es ist verboten, jugendlichen Personen unter 16 Jahren Streichhölzer, Feuerwerkskörper, Zigarren, Zigaretten und Tabak zu verkaufen oder zur Benutzung ohne Aufsicht zu überlassen. Unter das Verbot fällt auch der Verkauf durch Automaten.
  2. Jugendliche Personen dürfen nur mit Genehmigung ihrer Eltern, Erzieher oder deren Vertreter und außerhalb der Wohnung in deren Beisein
    a)               Rauchen,
    b)               Alkohol enthaltende Getränke zu sich nehmen.
  3. In den Abendstunden dürfen jugendliche Personen Wirtschaften nur in Begleitung der Eltern, Erzieher oder deren Vertreter besuchen, falls es sich nicht um eine notwendige Einkehr auf Reisen oder Wanderungen handelt.
  4. Der Besuch von Lichtspielhäusern und Schaustellungen, die unter dem Namen Spezialitätentheater, Caritas, Tingeltangel, Cabarets u.a. veranstaltet werden, ebenso von Wirtschaften, in denen Sänger oder Sängerinnen auftreten, ist jugendlichen Personen verboten; ausgenommen sind besondere Jugendvorstellungen, die als solche von den Ortspolizeibehörden geprüft und zugelassen sind.
  5. Das zwecklose Verweilen von jugendlichen Personen auf öffentlichen Straßen und Plätzen in den Abendstunden ist verboten.
  6. Jugendliche Personen im Sinne der vorstehenden Bestimmungen sind Personen, beiderlei Geschlechts, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Unter Abendstunden ist die Zeit nach 7 Uhr abends oder, wenn die Dunkelheit später eintritt, die Zeit nach Eintritt der Dunkelheit zu verstehen.
  7. Zuwiderhandlungen gegen vorstehende Bestimmungen werden nach § 9 des Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 bestraft.
  8. Wirte und sonstige Geschäftsinhaber dürfen den Besuch Jugendlicher nur insoweit erlauben, als es nach den vorstehenden Bestimmungen zulässig ist.
  9. Die Bestrafung tritt auch in Fällen der Fahrlässigkeit ein. Unrichtige Angaben über das Alter jugendlicher Personen, die von diesen selbst oder von Dritten gemacht werden, sind strafbar.
  10. Die Strafe tritt auch einen gesetzlichen Vertreter oder sonstigen Aufsichtspflichtigen, der durch Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht eine Zuwiderhandlung gegen diese Verordnung befördert hat.
  11. Wenn an einzelnen Orten oder für bestimmte Bezirke schärfere Bestimmungen bestehen, als diese Verordnung sie vorschreibt, so bleiben sie in Kraft.

Koblenz, den 22. Januar 1916.
Der kommandierende General.

Obige Verordnung wird hiermit bekannt gemacht.

Zu Ziffer 11 bemerke ich, dass als schärfere Bestimmungen in Geltung geblieben sind:

  1. §1 der Polizeiverordnung des Herrn Oberpräsidenten vom 30. Oktober 1913, wonach Jugendliche in den Kinos nach 8 Uhr abends unter keinen Umständen geduldet werden dürfen.
  2. §1 der Regierungs- Polizeiverordnung, betreffend den Besuchs der Konditoreien usw., vom 13.Mai 1881, insoweit, als hier auch Schüler getroffen werden, die über 16 Jahre alt sind, und ferner untersagt ist, den Jugendlichen den Aufenthalt in den Konditoreien, Gasthäusern und Schankwirtschaften zu gestatten, selbst wenn sie keine alkoholischen Getränke erhalten.

Da den Geschäftsinhabern zur Pflicht gemacht ist, sich über das Alter jugendlicher Besucher gewissenhaft zu unterrichte, also Personen, die nicht mit Sicherheit als mindestens 16 jährig zu erkennen sind, den Aufenthalt zu versagen, kann derjenige Jugendliche, die das 16. Lebensjahr bereits vollendet haben, nur empfehlen werden, beim Besuch von Wirtschaften, Theatern und dergleichen einen Personalausweis bei sich zu führen, aus dem ihr Alter sich ergibt, zB. Ihre Quittungskarte, ihr Arbeitsbuch oder sonst irgend eine behördliche Bescheinigung.

Kempen- Rhein, den 14. Januar 1916.
Der Landrat.

Polizeiverordnung.

Auf Grund der §§ 137 und 139 des Landesverwaltungsgesetzes vom 30. Juli 1883 und des § 12 des Gesetzes über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 wird aus gesundheitspolizeilichen Gründen mit Zustimmung des Provinzialrates für den Umgang der Rheinprovinz verordnet, was folgt:

§1. Personen unter 16 Jahren ist verboten:

  1. Tabak, Tabakpfeifen, Zigarren, Zigaretten und Zigarettenpapier zu kaufen oder sich sonst zu verschaffen,
  2. Auf öffentlichen Wegen, Plätzen und Anlagen sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln und in öffentlichen Räumen zu rauchen

§2. Es ist verboten, an Personen unter 16 Jahren die im §1 unter Ziffer 1 bezeichneten Gegenstände zu verkaufen oder im Gewebebetriebe abzugeben.

§3. Jeder, unter dessen Gewalt eine noch nicht 16 Jahre alte Person steht, die seiner Aufsicht untergeben ist und zu seiner Hausgenossenschaft gehört, ist verpflichtet, sie von einer Übertretung des §1 abzuhalten.

§4. Zuwiderhandlungen gegen diese Polizeiverordnung werden mit Geldstrafe bis zu 60 Mark, im Unvermögensfalle mit entsprechender Haft bestraft.

§5. Diese Verordnung tritt am 1. März 1918 in Kraft. Mit diesem Zeitpunkte werden alle anderen, den gleichen Gegenstand betreffenden polizeilichen Vorschriften aufgehoben.

Koblenz, den 21. Februar 1918.
Der Oberpräsident der Rheinprovinz.

Vorstehende Polizeiverordnung bringe ich zur Kenntnis der Gemeindeeingesessenen. Die Polizeibeamten sind von mit angewiesen worden, mit aller Schärfe auf die Durchführung der Bestimmungen zu halten. An die Eltern und Vormünder richte ich die dringende Bitte, auch ihrerseits dahin zu wirken, dass die für die Gesundheit unserer Jugend so überaus wichtigen Bestimmung vollste Beachtung finden. Ich werde in allen Fällen gegen diejenigen vorgehen, die es an der nötigen Beaufsichtigung der Jugend fehlen lassen.

Lobberich, den 19. März 1918 
Die Polizeiverwaltung.
Der Bürgermeister.

Lobberichs Jugendwehr.

Die große Zeit des Krieges stellte an die Leistungsfähigkeit und den Opfermut eines jeden Deutschen die höchsten Anforderungen. Kein Stand und kein Alter war hiervon ausgenommen. Der schwere, blutige Kampf um die Existenz des deutschen Reiches und des mit ihm Schulter an Schulter kämpfenden Österreich- Ungarns, um die Heimat und alles was uns lieb und teuer war, hatte gewaltige Lücken in die Reihen der Unsrige gerissen. Ströme deutschen Blutes waren geflossen, um Siege über unsere hartnäckig kämpfenden Feine zu erringen und mancher musste in diesem Kampfe sein Leben dahingeben. Diese schmerzlichen Lücken, die hierdurch entstanden waren, mussten wieder geschlossen werden. Erfreulich war die Tatsache, dass weit mehr als eine Million deutscher Jünglinge und Männer sich freiwillig dazu hergegeben hatte, für die Verteidigung des Vaterlandes in das Heer einzutreten. Doch der schwere Kampf dauerte noch lange. Daher sollte auch die heranwachsende Jugend vom 16. Lebensjahre ab nach Maßgabe ihrer körperlichen Kräfte für den späteren Dienst im Heere vorbereitet werden. Um dies zu erreichen, veröffentlichten die Ministerien des Krieges, Kultus und Innern, einen gemeinsamen Erlass, der die Jünglinge im Alter von 16 bis 20 Jahren zur Ausbildung in Jugendwehren aufforderte. Die Beteiligung war eine freiwillige, sie sollte als eine Ehrensache angesehen werden. Am 5. November 1914 beschloss der Ortsausschuss für Jugendpflege in einmütiger Weise die Gründung einer Jugendwehr in Lobberich und betraute mit der Leitung derselben die Herrn Postmeister Basta und Lehrer Jodocus Schaaf. Am 12. November 1914 fand im Saale des Gasthofes Heythausen eine Versammlung derjenigen jungen Leute statt, die der Jugendwehr betreten wollten. Die Lobbericher Jünglinge eilten herbei, da es sich um das Wohl und Wehe des Vaterlandes handelte. Auf dieser Versammlung zeichneten sich bereits 110 Jungmänner zum Anschluss an die Jugendwehr ein.
Nachdem so die Gründung der Lobbericher Jugendwehr zustande gekommen, war am 15. November 1914 die erste Zusammenkunft zur Vornahme der Einteilung und zur Bekanntgabe des Übungsplanes. Es waren 140 junge Leute im Heythausen´schen Saale erschienen, denen sich noch immer neue Mitglieder anschlossen. Diese stattliche Kompagnie wurde in drei Züge von je drei Korporalschaften eingeteilt. Für die Führerposten hatten sich bereitwilligst ältere erfahrene Leute des Kriegervereins zur Verfügung gestellt. Als erster Übungstag wurde der 19. November 1914 bestimmt und zwar von ½ 9 Uhr bis 10 Uhr abends. Der erste Zug hatte als Übungslokal den Heythausen´schen Saal, der zweite Zug das Gesellenhaus, der dritte Zug den Klüttermann´schen Saal. Sechs Mitglieder meldeten sich als Trommler und Pfeifer, damit bei gemeinsamen Märschen die nötige Musik vorhanden war. Als Abzeichen erhielt jeder zunächst eine Armbinde, die den einzelnen Zug kennzeichnete. Die Ausbildung geschah nach streng militärischen Grundsätzen und im Sinne des staatlichen Erlasses. Die jungen Leute wurden ermahnt, freudigst und mit Ernst und Eifer die Übungen zu beginnen und den Führern Vertrauen entgegenzubringen. Pünktlichkeit müsse von der ersten Stunde an eingehalten werden. Lehrer Schaaf wandte sich noch mit einigen wohlgemeinten Worten an die Kompagnie und bat alle eindringlichst, niemals einem Führer irgend etwas nachzuhalten. Der militärische ton bei der Ausbildung sei nötig; daran müsse sich jeder gewöhnen.

Aus zieh´ ich meiner Jugend buntes Kleid
Und wer´ es hin zu Blumen, Glück und Ruh.
Heiß sprengt das Herz die Brust mir breit,
Der Träume Türe schlag´ ich lachend zu!

Ein nacktes Schwert wächst in die Hand hinein,
Der Stunden Ernst fließt stahlhart durch mich hin
Da steh´ ich stolz und hochgereckt allein,
Im Rausch, dass ich ein Mann geworden bin!

Die Zahl der Jugendwehr- Mitglieder stieg bald auf 156 und immer kamen noch Meldungen zur Teilnahme an den militärischen Vorbildungsübungen.

Der Ortsauschuss für Jugendpflege wandte sich im Dezember 1914 durch einen Aufruf an die Ersatzreservisten und unausgebildeten Landsturmleute wegen Beratung über Abhaltung besonderer Übungen, ähnlich wie bei den Jugendwehr- Kompagnien. Denn was in den meisten Städten und Gemeinden unseres Vaterlandes auf Anregung der Regierung bezw. Militärbehörde bereits eingeführt war, sollte auch hier geschehen. Jeder war es seinem Vaterlande schuldig, alle Mittel zu benutzen, die ihn zur Verteidigung der Heimat brachbarer und fähiger machten. Alle in Frage kommenden Männer von 20 bis 45 Jahren wurden gebeten, an der am 11. Dezember 1914, abends 8 ½ Uhr, im Saale des Gasthofes Heythausen, Markt, stattfindenden Versammlung teilzunehmen.
Zu dieser Zusammenkunft hatten sich etwa 65 Personen, meistens ältere, eingefunden. Nach eingehender Darlegung über Notwendigkeit, Zweck und Ziel der militärischen Vorbildung zeichneten sich gleich 53 der Anwesenden in eine Liste ein. Die Übungsstunden wurden auf Dienstags und Freitags, 8 ½ abends, festgelegt. Die Leitung übernahmen ältere Leute des Kriegervereins.

Am 24. Januar 1915 hatte die Lobbericher jungwehr- Kompagnie um 11 ¼ Uhr morgens Antreten vor dem Rathaus. Hier wurden der Kompagnie die von Herrn Carl Niedick gestifteten 50 Infanteriespaten ausgehändigt. Unter klingendem Spiel rückte die Kompagnie zum Übungsplatz ab, um dort ihre erste Übung in dem Bau eines Schützengrabens vorzunehmen. Unter Belehrung und Anweisung des Kompanieführers, Postmeister Basta, war in kurzer Zeit ein ungefähr 25 m langer Schützengraben ausgeworfen. Nach der Belehrung über Benutzung desselben wurde der Graben zugeworfen. Herr Basta hielt hiernach eine Ansprache, ernannte Herrn Eisenbahn- Inspektor Remlinger zu seinem Stellvertreter, weil er selbst ab 31. Januar 1915 wieder zum Heeresdienst eingezogen war. Um sein großes Interesse an der Jugendwehr- Kompagnie zu zeigen und um dieser einen festen Halt zu geben, stiftete er in liebenswürdiger Weise der Kompagnie eine Fahne. Zum Kammer- Unteroffizier wurde Herr Polizei- Sergeant van Mölken ernannt. Die Kammer befand sich im Rathaus. Der Kompagnie wurden vom Gemeinderat 2 Trommeln, 2 Flöten und 1 Signalhorn überwiesen. Stoff zu Gamaschen stiftete Herr Geheimrat van der Upwich. Nunmehr nahm unsere Jugendwehr- Kompagnie mit voller Rüstung ihre Übungen auf.

Die Jugendwehr- Kompagnie rückte am 7. März 1915 mit ca. 100 Mann zu einem Übungsmarsch nach Brüggen ab. Trotz des stürmischen Wetters, begleitet von Regen, Eis und Schnee, hielten die Jungmannen treu und fest aus bis zum Schluss. Zurückgelegt wurden etwa 30 km in 5 Stunden, eine Glanzleistung der jungen Leute.
An Stelle des im April 1915 zum Heer einberufenen Leisters der Jugendwehr- Kompagnie, Eisenbahn- Inspektor Remlinger, übernahm Herr Lehrer Buschmann die Leitung.

Lied der Jugendwehr.

(Melodie: Es braust ein Ruf wie Donnerfall.)

Wir sind die deutsche Jugendwehr,
Ein kühngemutes Riesenheer;
Wir stählen eifrig Herz und Hand
Zum Dienst fürs teure Vaterland.
Lieb´ Vaterland magst ruhig sein,
Dir wollen wir uns alle weihn!

Viel uns´rer Brüder kämpfen schwer
Fürs deutsche Sitte, deutsche Ehr´;
Und mancher färbt, zu Tode wund,
Mit seinem Heldenblut den Grund.
Lieb´ Vaterland, magst ruhig sein,
Wir treten gern in ihre Reih´n!

Und ruft der Kaiser unser Heer
Mit Gott voran für Deutschlands Ehr´!
Das Herz für´s Vaterland entbrannt,
Die treue Büchse in der Hand:
Hurra die Fahne schwarz- weiß- rot,
Hurra zum Sieg! Hurra zum Tod!

Fritz Flinterhoff.


Link nächstes Kapitel: Krieg und Presse

Übersicht: Eisernes Buch der Gemeinde Lobberich