Chronik der Sparkasse 1870-1995

2. Die Entwicklung des Sparkassenwesens im Rheinland bis 1870

zum Jubiläum 125 Jahre Sparkasse Nettetal

von Manfred Albersmann

rechte Seite

Die schon beschriebene "Dürftigkeit" der Bevölkerung ließ sich auf mehrere Ursachen zurückführen. Sie war einerseits konjunkturbedingt, andererseits war die Armut in Anpassungschwierigkeiten an die neue politische Raumordnung zu suchen, die sich aus dem Ende des napoleonischen Imperiums und der Rückkehr des linken Niederrheins zu Preußen ergaben.

Die "Allgemeine Armenanstalt", in der französischen Zeit als "Bureau de Biefaisance" gegründet, eine Einrichtung zur Unterstützung der Armen eines Ortes mit Geld- und Sachspenden, hatte erheblichen Geldmangel, da ihr nur unzureichende laufende Einnahmen zustanden. Armensteuern wurden um diese Zeit vielfach diskutiert und auch in manchen deutschen und europäischen Staaten erhoben. Ihr Prinzip beruhte darauf, daß von allen Angehörigen einer Gemeinde eine Art Zwangsabgabe zur Unterstützung der Armen erhoben wurde. Damit war zwar das Problem der Finanzierung gelöst, doch ein neues Problem trat auf: Da der Arme ausschließlich in seiner Gemeinde Unterstützung beziehen konnte, war seine Mobilität zwangsläufig erheblich eingeschränkt. Die preußische Regierung in Düsseldorf, von liberalen Wirtschaftsprinzipien häufig geprägt, lehnte die "Armensteuer" ab und empfahl statt dessen häufig die Errichtung einer allgemeinen Sparkasse für die Ersparung für Alter und Krankheit nach dem Muster der Berlinischen Sparkasse. Die Stadt Berlin setzte unter dem 9.12.1817 die Regierung davon in Kenntnis, daß die Stadtverordnetenversammlung ein Statut ausgearbeitet habe und daß danach die Einrichtung einer Sparkasse beabsichtigt sei. Aufgabe der Berliner Sparkasse sollte es sein, in erster Linie "den minderbemittelten Einwohnern Gelegenheit zu sicherer und zinstragender Unterbringung kleiner Ersparnisse zu bieten, um dieser Bevölkerungsschicht dadurch behilflich zu sein, sich Kapital zu sammeln, welches sie bei Verheiratungen, Etablierung eines Gewerbes, im Alter oder in Fällen von Not benutzen könnte".

Das Berliner Beispiel, das sehr dazu beitrug, daß in Preußen die Sparkassengründungen fast durchweg durch die Initiative der Kommunen zustande kamen, bahnte den Weg für viele Sparkassen-neugründungen. So entstanden 1818 Sparkassen auch in Paris und in Stuttgart, und in zahlreichen deutschen Staaten fand die Idee rasche Verbreitung.

Die Entwicklung des Sparkassenwesens im Rheinland nahm im Jahre 1822 ihren Anfang. In diesem Jahre wurde die älteste Sparkasse der Rheinprovinz, die Leihhausanstalt und Sparkasse in Elberfeld und die Sparkasse in Koblenz gegründet. Bedeutende Persönlichkeiten setzten sich in der damaligen Zeit in der Öffentlichkeit für die Errichtung von Spar- und Leihkassen ein. In Preußen waren dies die Freiherren vom Stein und Vincke. Bis Ende der zwanziger Jahre war bereits die Gründung einer Reihe von Sparkassen vollzogen: Elberfeld und Koblenz (1822) Trier, Kleve und Düsseldorf (1825), Köln (1826), Wesel (1828) und Aachen (1829). Daneben existierten noch die auf Vereinsgrundlage errichteten Prämien- und Alterssparkassen Später standen diese Alterssparkassen mit den öffentlichen Sparkassen in Verbindung, dergestalt, daß aus den Überschüssen für gemeinnützige Zwecke Stiftungsfonds für Alterssparkassen gegründet wurden. Ihre Zinsen sollten nebst etwaigen Zuwendungen dazu dienen, die Spareinlagen zu prämieren und die Einlagenzinsen zu verbessern. Es konnten Arbeiter im Lebensalter von 18 Jahren an Sparbeträge zurücklegen. Ferner war vorgesehen, daß dritte Personen zugunsten eines Teilnahmeberechtigten Einzahlungen leisteten. Eine Zurückziehung der Einlagen war vor Beendigung des 55. Lebensjahres nicht möglich. Dann erst wurde die Auszahlung des Kapitals einschließlich der Zinsen und Prämien fällig, evtl. auch vorher mit Zustimmung der Verwaltung bei Todesfall (zur Auszahlung an die Erben). Als ältestes Beispiel dieser Art ist der "Aachener Verein zur Beförderung der Arbeitsamkeit" zu nennen. In einer Denkschrift vom Jahre 1844 hatte der "Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen" auf das Wirken des Aachener Vereins hingewiesen und angeregt, durch einen noch höheren Reiz, als den der sonst üblichen Verzinsung, nämlich durch Erteilung von Prämien, zum Sparen zu ermuntern. Dieser Gedanke dürfte stark nachgewirkt und dazu beigetragen haben, daß den Provinzialhilfskassen, die Anfang der fünfziger Jahre errichtet wurden, die Verpflichtung auferlegt wurde, einen Teil ihrer Überschüsse den Sparkassen zur Prämierung verdienter Sparer zur Verfügung zu stellen.

Während bei fast allen Sparkassen die Gemeinde oder Stadt die Garantie übernahm, hafteten bei der Sparkasse in Soest außer der Stadt auch noch ihr "Rendant" und die "Administratoren" mit ihrem gesamten Vermögen. In vielen Fällen wurde zusätzlich noch eine Kautionsleistung des Rendanten verlangt. Der Kundenkreis der einzelnen Sparkasse war je nach den Statuten und den örtlichen Verhältnissen unterschiedlich. Im allgemeinen wollte man den Handwerkern, Bauern, Tagelöhnern, Fabrikarbeitern und Dienstboten Gelegenheit geben, auch kleinste Ersparnisse sicher und zinsbringend anzulegen.

Die erste gesetzliche Grundlage des Sparkassenwesens in Preußen stammt aus dem Jahre 1838. In diesem Jahr wurde das "Preußische Sparkassenreglement" erlassen, das sich trotz mancher Kritik als dauerhaftes Recht erwies und das fast alle Reformprojekte, jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Sparkassengesetzes von NRW vom 7.1.1958 überlebt hat. Das Preußische Sparkassenreglement löste eine zahlen- und kapitalmäßig bemerkenswerte Entwicklung der Sparkassen sowohl in den Städten als auch auf dem Lande aus. Der Anteil der wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungskreise am gesamt Kundenstamm trat zugunsten der mittelständischen Bevölkerungskreise stärker zurück. Dies führte zu einer Verlagerung der geschäftlichen Aktivitäten der Sparkassen, namentlich zu einem stärkeren Ausbau des Ausleihgeschäftes. Auch wurde die Frage aufgeworfen, ob die Festsetzung eines Höchstbetrages für Spareinlagen notwendig sei. In den einzelnen Regierungsbezirken wurden aufgrund einer Enquete des Preußischen Staatsministeriums vom 29.4.1839 Höchstbeträge zwischen 20 und 100 Talern festgesetzt. Gelder, die die Sparkassen hereinnahmen, konnten diese teilweise der im Jahre 1832 in Münster gegründeten "Westfälischen Provinzial Hülfskasse" (eine Vorgängerin der Westdeutschen Landesbank) als "Fonds" zur Verfügung stellen. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß dieser Kasse eine gewisse Zentralbankfunktion zugedacht war. Auch die Provinzial-Hülfskasse Münster war verpflichtet, einen Teil ihres Gewinns den Sparkassen zur Gewährung von Sparprämien an die Sparer zu überlassen.

Die allgemeine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung führte zu einer Verselbständigung der Geschäfts- und Anlagepolitik der Sparkassen. Dies wiederum löste ein immer stärkeres, aber auch kritischeres Interesse der Öffentlichkeit am Sparkassenwesen aus. So war zum Beispiel in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, die Sparkassen würden auf dem Gebiet des Sparwesens nicht alle Mittel und Möglichkeiten für die ärmeren Kreise ausschöpfen. Hinzu kam die kritische Meinung, daß die Kommunen als Träger der Sparkassen deren Geschäftspolitik zu sehr unter fiskalisch-egoistischen Gesichtspunkten betrachteten. Als in manchen Regionen aus den vorgenannten Gründen "Ermüdungserscheinungen" im Sparkassen-wesen aufkamen und selbst nach mehrfacher Aufforderung der Landesregierung auf die Gründung von Sparkassen verzichtet oder deren Gründung zurückgestellt wurden, kam die Idee vom Aufbau eines Postsparkassenprojektes wieder hoch. Dies wiederum löste neue Initiativen im Sparkassenbereich aus. So wurden in der näheren Umgebung die Sparkassen in Krefeld (1840), Kempen (1847), Uerdingen (1848), Dülken (1850), Hüls und Mönchengladbach (1853), Willich, Oedt, Anrath und Vorst (1855), und St. Tönis (1857) gegründet.

In einem Schreiben des Landrates von Kempen aus dem Jahre 1840 ist erstmals auch von "Privaten Sparkassen" zu lesen: "In dem hiesigen Kreise besteht nur eine Sparkasse, welche Clemens Hausmann zu St. Tönis errichtet hat und unterhält ...". Hierbei handelte es sich um eine Privatsparkasse, deren Geschäftsvolumen gänzlich unbekannt geblieben ist. Der Gedanke, in Kempen eine Kreissparkasse zu errichten, kam Anfang 1842 auf - die Statuten der geplanten Sparkasse waren im Entwurf fertig. Die Verhandlungen über die Sparkassengründung blieben jedoch zunächst nicht von Erfolg gekrönt:

"Eine Königlich Hochlöbliche Regierung wolle aus diesen Verhandlungen gefälligst ersehen, daß die Gemeinden Breyell, Kaldenkirchen und Dülken unbedingt, Kempen, Hüls, St. Hubert, Tönisberg, Oedt, Burg- und Kirchspielwaldniel, Vorst und Boisheim ohne Übernahme der in § 2 ausgesprochenen Garantien und Grefrath und Lobberich, wenn sie von der Bildung einer eigenen Filialkasse entbunden und der einer größeren Gemeinde zugetheilt werden, für den Beitritt zu der zu errichtenden Sparkasse sich erklärt haben. Die Gemeinden Süchteln, Bracht, Brüggen, Amern St. Anton und Amern St. Georg haben aber den Beitritt, theils vorläufig, theils endgültig abgelehnt."

heißt es in einem Schreiben des Landrates an die Regierung. Er resignierte und gab das Signal zur Gründung einer städtischen Sparkasse in Kempen, welche dann am 28.11.1847 den Betrieb aufnahm.


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