Bauernhof, Bruderschaft und Pfarrkirche

Wilhelm op den Struck

Ein Brudermeister der Lobbericher Sebastianer vor 500 Jahren

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Von Dr. Marcus Optendrenk

Als der Lobbericher Wilhelm op den Struck - auch up den Struick oder Strucks genannt – am 28. Juli 1540 gemeinsam mit seiner Frau sein Testament verfasste, da hatte er ein abwechslungsreiches Leben in dem kleinen Ort am Niederrhein hinter sich. Und er gehörte zu den angesehenen Personen des Ortes. Das lag neben dem gewissen Wohlstand, den seine Familie nach damaligen Maßstäben genoss, auch daran, dass er über längere Zeit wichtige Funktionen in der Gemeinde wahrgenommen hatte.

Vor allem galt das für sein Wirken als Brudermeister der Bruderschaft St. Sebastianus und Antonius.

So hatte er fünfzehn Jahre vor dem Verfassen seines Testamentes gemeinsam mit seinem Mitbrudermeister Jan Kirchoffs eine der wichtigsten Urkunden seiner Wirkungszeit mitverfasst. Damals, im Jahre 1525, übergaben die Eheleute Edwart von Bocholtz und Maria von Brouckhauseni die Verwaltung einer Erbrente für ein Jahrgedächtnis an die beiden Brudermeister der Sebastianer. Denn diese waren zuständig für die Verwaltung des Altarvermögens in der damaligen Pfarrkirche zwischen Markt und Burg Ingenhoven.

Aber gleichzeitig waren sie auch die Vorsteher der Bruderschaft und damit angesehene Leute im Dorf. Zusammen mit den Kirchmeistern, die das Kirchenvermögen verwalteten, dem Pfarrer sowie den für die Rechtsprechung zuständigen Schöffen und Geschworenen des Ortes bildeten sie die „Führungsschicht" Lobberichs.

Wie in vielen anderen Vereinigungen und Gremien dieser Zeit gab es vor 500 Jahren in der Sebastianusbruderschaft zeitweise zwei Brudermeister, die gemeinsam die Leitung der Sebastianer innehatten. Das galt auch für die Lobbericher Marien-Junggesellenbruderschaft, deren Brudermeister 1540 Evert Smyt und Vyt Wolters waren.

Wilhelm op den Struck stammte von einem Hof (dem Struckshof) im Sassenfeld, einer der größeren Honschaften (neben Sassenfeld noch Sittard, Bocholt, Rennekoven, Dyck und Flothend) um den damals noch sehr kleinen Ortskern.

Der bestand nur aus drei oder vier Straßenzügen rund um Burg Ingenhoven, Pfarrkirche und Markt. An einer davon befand sich der Hof, den sein Mit-Brudermeister Jan Kirchoffs bewirtschaftete.

Die Familie op den Struck hatte es sich leisten können, eine Studienstiftung einzurichten, die es einzelnen Nachkömmlingen ermöglichte, in Köln zu studieren. Einer von ihnen war Simon op den Struck, der 1540 in einer Urkunde auftaucht. Er war Kanoniker zu St. Gereon in Köln. Immerhin musste sich die Familie ja um ihre Nachkommen kümmern. Und nur der älteste übernahm in der Regel den Hof. Simon war vermutlich ein Bruder Wilhelms und hatte es in Köln durchaus zu etwas gebracht. Denn er war „Senior" an St. Gereon und verfügte sogar über ein eigenes Siegel.

Lobberich hatte, so dürfte sich Wilhelm erinnert haben, stürmische Zeiten hinter sich. Aus den Erzählungen seiner Eltern in der Jugend wusste er noch, dass sich im Kampf um das Herzogtum Geldern jahrzehntelange Streitigkeiten am Niederrhein abgespielt hatten. Auch Lobberich und Umgebung waren von den Kriegszügen von Habsburgern, regionalen Fürsten und geldrischen Truppen nicht verschont geblieben.

In seiner Jugend hatte man das Resultat noch überall sehen können. Zerstörung allerorten, von der Pfarrkirche bis zu den mit Steinen gepflasterten Straßen. Beim Wiederaufbau hatte sich als hilfreich erwiesen, dass Herzog Karl von Geldern am 12. September 1505 die Marktrechte an Lobberich verliehen hatte. Mit dem Erlös der drei Märkte konnten wenigstens die größten Schäden im Laufe der Jahre beseitigt werden. Denn der Markt brachte Einnahmen für die Gemeinde. Und die waren dringend nötig. Noch 1512 hatten die Lobbericher beim Boisheimer Pfarrer Wilhelm von Krickenbeck einen Kredit aufnehmen müssen.

Den hatte der Boisheimer Pfarrer 1525 an die Kölner Abtei St. Pantaleon weiterverkauft. Die Abtei wiederum war in Lobberich keine Unbekannte, besaß sie doch seit dem 13. Jahrhundert einen Hof im Bocholt. 1481 bis 1487 war an St. Pantaleon mit Wilhelm von Bocholtz ein Lobbericher Abt gewesen.

Doch angesichts der nicht gerade üppigen wirtschaftlichen Situation des Ortes war es für den Zusammenhalt wichtig, dass es wenigstens ab und zu auch etwas zu feiern gab. Denn der Jahresrhythmus wurde doch sehr stark bestimmt durch die immer wieder kehrenden Abläufe des bäuerlichen Wirtschaftens, von der Aussaat im Frühjahr, der Ernte im Spätsommer und Herbst bis zur Reparatur von Gerätschaft und Gebäuden im Winter. Die beiden seit 1505 stattfindenden Hauptmärkte, am dritten Sonntag nach Pfingsten und am Fest der Heiligen Ursula, dem 21. Oktober, gaben dem Jahr gewissermaßen eine Struktur. Nach der Bestellung der Felder und nach der Ernte fanden die Lobbericher Zeit für Markt und Feier. Und im Januar–wenn altes draußen ruhte – war auch Zeit für das Fest des Pfarr- und Bruderschaftspatrons Sebastian.

Mit dem Pfarrpatron Sebastian war Wilhelm op den Struck aufgewachsen. Der Märtyrer und Pestheilige hatte für Lobberich seit langem eine wichtige Funktion. Und auch die Bruderschaft war lange vor Wilhelms Geburt bereits gegründet worden, als kirchliche Altarbruderschaft.

1471 hatten ihr die Eheleute Johann von Besell, genannt von Reyde, und seine Frau Katharina von Bocholtz die Verwaltung einer Altarstiftung übertragen. Das Stiftungsvermögen, das für den Lebensunterhalt eines Geistlichen notwendige Vermögen, hatten die Stifter mit dem Gut „op der Dellen" in Hinsbeck großzügig zur Verfügung gestellt. Danach hatten die Stifter noch mehrfach weitere Vermögensrechte auf die Stiftung übertragen, um einen Geistlichen davon ernähren zu können. Der war wiederum verpflichtet, regelmäßige Messen für die Stifter zu feiern. Die Bruderschaft der Sebastianer nahm ihrerseits am Jahrgedächtnis für die Eheleute in voller Mannstärke teil.

Jetzt kurz vor Ende seines Lebens – waren viele Dinge im kirchlichen Leben längst nicht mehr so klar wie noch 1471 oder auch in seiner eigenen Jugend. Jetzt, im Jahre 1540, tobte der Kampf um den richtigen Glauben überall mit aller Härte. Ein gewisser Martin Luther hatte 1517 mit seinen 95 Thesen in Wittenberg einen Konflikt in die Kirche getragen, der die jahrhundertealte Glaubensgewissheit fundamental in Frage gestellt hatte. Eine „Reformation" verlangte Luther, und im Gefolge war nichts mehr so wie früher. Es war eine regelrechte Spaltung der Christen. In Moers hatten die „Reformierten" bereits fest Fuß gefasst. Und auch einem Lobbericher Pfarrer hatte man Sympathien für den Protestantismus nachgesagt. Und das, obwohl doch seit 1221 bereits die Lobbericher Pfarrer von der Praemonstratenserabtei Knechtsteden – zwischen Neuss und Dormagen - gestellt wurden.

Die Bruderschaft hatte sich aber ebenso wie die Lobbericher Herren von Bocholtz auf die Seite des Katholizismus gestellt. Gut, dass da die Sebastianer ebenso wie die Junggesellenbruderschaft St. Marien Halt und Orientierung boten.

Es blieb für Wilhelm dabei: Fundament seines Lebens war der christliche Glaube, verbunden mit dem Streben nach dem eigenen Seelenheil.

Und deshalb war sein Einsatz als Brudermeister der Sebastianer allemal richtig gewesen. Hoffentlich würden das auch zukünftige Generationen genau so sehen.


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